In Giovanni steckt vermutlich mehr nur ein bisschen Nanni Moretti. Schliesslich hat der italienische Filmemacher die Figur nicht nur geschrieben, er spielt sie auch. Giovanni ist ebenfalls Filmemacher, in Morettis Alter und verheiratet mit Paola (gespielt von Morettis ewiger Filmfrau Margherita Buy), die alle seine Filme produziert hat.
Für sein neuestes Projekt will Giovanni einen Film über den Kernkonflikt der italienischen Kommunisten drehen: den «Ungarnaufstand» 1956, der von der Sowjetarmee mit Panzern niedergeschlagen wurde. Solidarisieren sie sich mit der Demokratiebewegung in Ungarn oder bleiben sie auf Linie der Sowjets?
Film gibt Faden vor
Die Frage, auf welcher Seite sie stehen, wird schon sehr bald konkret: Auf Einladung der kommunistischen Quartierzelle weilt ein ungarischer Zirkus in Rom. Aus Solidarität mit ihren Landsleuten treten die Artistinnen und Artisten in den Streik.
Der Film im Film, dessen Entstehung von diversen Problemen begleitet ist, bildet den roten Faden für Morettis Lebensbilanz eines besessenen Filmemachers.
Überall Probleme
Giovannis Frau besucht heimlich einen Psychiater, um den Mut aufzubringen, ihren Mann zu verlassen. Ausserdem produziert sie den Actionfilm eines jungen Regisseurs, dessen Einstellung zu Gewalt im Kino Giovanni für unmoralisch und unerträglich hält.
Giovannis Tochter hat sich nicht nur in den polnischen Botschafter verliebt, der mindestens 30 Jahre älter ist als sie. Sie hat auch noch die Vermessenheit, die Musik, den sie für den Film ihres Vaters schreibt, zuerst mit ihrem Freund zu diskutieren, bevor Giovanni überhaupt eine Note davon gehört hat.
Und dann ist da noch Pierre (Mathieu Amalric), der französische Produzent des Films, dessen Optimismus und Enthusiasmus nicht verhindern kann, dass er bankrott geht und wegen dubioser Steuergeschäfte verhaftet wird.
Die Pleite führt zur lustigsten Szene im ganzen Film: einem Meeting mit Vertretern von Netflix, deren Geldspritze das Filmprojekt retten könnte. Für ihre Änderungswünsche am Drehbuch haben diese jedoch kaum mehr Argumente vorzubringen als das Mantra von Millionen von Abonnenten in aller Welt.
Nicht alle Pointen landen
«Il sol dell’avenire» ist voller Anspielungen, Ideen, Konzepte und theoretischer Diskurse – ein Aufwasch mit Rückblick auf Morettis Dasein als politischer Filmemacher und Familienvater. Der Film hat auch Momente von Morettis Humor und Selbstironie. Aber leider auch Einfälle, die wie abgespult wirken.
Wenn Giovanni in der dogmatischen Gewaltdiskussion mit dem jungen Regisseur auf Suche nach Back-up den Architekten Renzo Piano oder versuchsweise sogar Martin Scorsese anruft, ist das etwa milde komisch.
Aber es gibt auch vortreffliche Momente, wie die Besprechung der Ausstattung, als ein junger Mitarbeiter ungläubig fragt: «Gab es wirklich Kommunisten in Italien?» und auf die Versicherung, es seien Tausende gewesen, noch ungläubiger reagiert: «Alles Russen?».
Die Entstehung von Kunst
Der Film im Film als Mittel, um die eigene Arbeit zu reflektieren, kam am vergangenen Festival von Cannes in unzähligen Variationen vor. Die Absicht ist immer der Verweis auf den Prozess des Schaffens, die Entstehung der Kunst, Reflexion statt Illusion.
Und das schadet sicher nichts, bei all den Altmeistern des modernen Kinos, die sich derzeit im Alter an ihrem eigenen Oeuvre abarbeiten.
Kinostart: 11.01.2024