Franz Rogowski ist derzeit der prägende Schauspieler des deutschen Kinos. Den Durchbruch schaffte der Charakterdarsteller als unberechenbarer Bankräuber im One-Shot-Movie «Victoria» , das 2015 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Auf der diesjährigen Berlinale glänzte der deutsche Shooting-Star nicht nur als Flüchtling in Christian Petzolds «Transit» – er gab auch dem neuen Film von Thomas Stuber eine fragile Mitte.
Von der Anlage her erinnert «In den Gängen» an die Texte und Doku-Essays des 2014 verstorbenen Künstlers Harun Farocki . Der dokumentarisch anmutende Spielfilm spielt in den Gängen eines Warenlager-Direktverkauf-Grossmarktes im Osten Deutschlands. Wie die früheren Arbeiten von Stuber geht auch «In den Gängen» auf eine Geschichte von Schriftsteller Clemens Meyer zurück. Eine äusserst erfolgreiche Zusammenarbeit, die den beiden bereits 2015 den deutschen Drehbuchpreis einbrachte.
Von der Pieke auf
«In den Gängen» beginnt mit dem erstem Arbeitstag: Sein neuer Chef übergibt Christian (Franz Rogowski) im Büro einen blauen Kittel, drei Kugelschreiber und einen Cutter («Grundausstattung»). Er weist ihn freundlich an, die Ärmel stets weit über seine auffälligen Tätowierungen hinunterzuziehen («Kommt bei der Kundschaft nicht gut an») und führt ihn zu Bruno, dem erfahrenen Leiter der Getränkeabteilung.
Der nimmt den Neuling grummelig unter seine Fittiche, erklärt erst einmal, er brauche keine Hilfe. Aber schon nach ein paar Minuten ist Bruno der väterlich-fürsorgliche Ausbilder und Christian der willige, fleissige und ungemein maulfaule Azubi.
Faszinierender Mikrokosmos
«In den Gängen» packt einen schnell mit seinen realistischen Einblicken in diese Arbeitswelt. Die Gabelstapler zwischen den hohen Gestellen, das eingespielte, freundliche, territoriale Verhältnis zwischen den langjährigen Angestellten in den verschiedenen Abteilungen und schliesslich die spöttisch-spielerische Marion von der Süsswarenabteilung (Sandra Hüller) lassen bald das Gefühl einer eingespielten Arbeitsgemeinschaft aufkommen.
Gleichzeitig holt Stuber das Maximum aus dem riesigen Lagerkomplex heraus. Die Fahrten mit den Gabelstaplern, ihren kleinen elektrischen Zudienern, den «Ameisen» und schliesslich den handbetriebenen Palettenkarren werden immer wieder zu einem zurückhaltenden mechanischen Ballett in den schluchtartigen Gängen.
Rein und raus mit Swiss Touch
Rau, aber herzlich wäre das Klischee – faktisch findet das nie so statt. Der Umgang der Angestellten miteinander hat eher etwas stammesähnliches, erinnert manchmal an das Dorf von Asterix mit seinen diversen Gestalten.
Und als sich Christian zwangsläufig in Marion verliebt, wird er diskret darauf verwiesen, dass sie verheiratet sei, wenn auch nicht sehr glücklich. Man wird das Gefühl nicht los, alle wachen ein bisschen über den «Neuen». Und über die süsse Marion.
Kamera und Schnitt (vom Schweizer Star-Cutter Kaya Inan) nutzen im Dienste der präzisen Inszenierung die vertikalen und horizontalen Linien, welche die Hochgestelle vorgeben. Vor und zurück, rein und raus.
«2001» lässt grüssen
Das fängt schon bei der hinreissenden Eröffnungssequenz an, die mit dem gleichen Strauss-Walzer unterlegt wurde wie Stanley Kubricks Weltraum-Ballett in «2001 – A Space Odyssey». Zu den vertrauten Klängen von «An der schönen blauen Donau» zelebriert der Film das Erwachen des Lagers: Mit vielen Lichterreihen, die angehen und den ersten Staplern, die losfahren.
Horizontale Bewegungen beherrschen seit jeher die Standarddynamik im Kino: Je breiter die Leinwand, desto häufiger bewegt sich etwas durchs Bild oder im Bild. Oft schwenkt oder fährt die Kamera an den Dingen vorbei.
Die Vertikale dagegen wird vom gewohnten Bildformat nicht eben unterstützt. Darum wohl auch Stubers Wahl eines nicht sehr gebräuchlichen, eher schmalen Bildformates. Bewundernswert, wie es Kameramann Peter Matjasko gelingt, den hohen Raum und die schier endlose Höhenstreckung der Regalstapler einzufangen.
Leichtigkeit und Strenge
Die gleichen horizontalen und vertikalen Bewegungen spiegeln sich in den Figuren und ihren verhaltenen Dramen. Von Christian nehmen wir bald einmal an, dass er eine Neonazi-Vergangenheit hat oder zumindest eine jenseits der akzeptierten Gesellschaft. Umso eifriger will er sich nun in die geordnete Welt des Lagers integrieren. Vor allem, als sich zeigt, wie fragil seine neue soziale Sicherheit ist; wie nah das Chaos noch bei ihm lebt.
«In den Gängen» ist beides: Ein streng komponierter, konstruierter Film, sowie ein leichtes, ungemein menschliches Spiel voller Toleranz, Rücksichtnahme und Hoffnung. Dass man trotz der nahtlos integrierten, alltäglichen Dramen am Ende beschwingt und ermutigt aus dem Kino geht, hat viel mit dieser seltenen Kombination von Strenge und Gutmütigkeit zu tun.
Kinostart: 26.4.2018