Der Maler Antonio Ligabue spricht in schroffen Satzfetzen, halb italienisch, halb deutsch. Sein Gemüt schwankt zwischen Wutausbrüchen und einem ungefilterten Bedürfnis nach Zuneigung. Sein Gang: schlurfend. Seine Haltung: gebückt. Sein irrer Blick sagt: Ich bin Raubtier und Beute zugleich.
Ligabue (1899-1965) ist kein Einzelfall der Kunstgeschichte: Es gelangen dem Italiener grossartige Werke mit Farbe und Pinselstrich, ansonsten war er getrieben von psychischer und körperlicher Not. Sein grafisches Talent wurde zu Lebzeiten erkannt – und trotzdem fand er nicht aus seiner Lage als Randständiger hinaus.
Klassischer Filmstoff
Eine derartige Biografie ist klassischer Stoff für ein Biopic: «Volevo nascondermi» ist bereits die zweite Verfilmung von Ligabues Leben. Ein Leben, das im neuen Film von Regisseur Giorgio Diritti in seiner Gesamtheit erzählt wird – von der Kindheit bis zum Tod des Künstlers.
Als Sohn einer italienischen Gastarbeiterin wächst Ligabue in der Ostschweiz auf – bei Adoptiveltern, mehrfach zwangsinterniert. Verhaltensauffällig ist er von Geburt an. Die unsensible Pädagogik in den Anstalten des frühen 20. Jahrhunderts gibt seiner Psyche den Rest. Von dieser schweren Kindheit erzählt der Film in kurzen, subjektiven Rückblenden.
Nirgends zuhause
Die Schweiz weist den gebürtigen Schweizer aus. In Norditalien wird sein Talent über Umwege erkannt, was dazu führt, dass er in seiner zweiten Lebenshälfte plötzlich viel Geld verdient: Geld, das er ausgibt für schnelle Motorräder.
«Volevo nascondermi» bedeutet auf Deutsch: «Ich wollte mich verstecken». Der Maler ist sich bewusst, dass er nicht gesellschaftsfähig ist.
Er kann den Teufel nicht austreiben
Seine religiöse Adoptivmutter hat ihm einst eingetrichtert, ein Dämon hinter seiner Schläfe sei für seine zornigen Ausbrüche verantwortlich. Er selbst glaubt bis zum Tod an diesen Teufel. Nur austreiben kann er ihn nicht.
Der Film «Volevo nascondermi» erzählt das alles ohne cineastische Effekthascherei: Da und dort gibt es kleine Zeitsprünge, aber die Erzählung gliedert sich in eine überschaubare Chronologie.
Auf der Bildebene ruht sich der Film in den panoramischen Landschaften der Po-Ebene aus: Die Kamera versucht nicht, Ligabues eigenwilligen visuellen Stil nachzuempfinden. Stattdessen bettet sie den rastlosen Künstler in stabile Bildkompositionen ein.
Der Hauptdarsteller – das verwundbare Tier
Die eigentliche Entsprechung zwischen der Filmbiografie und dem porträtierten Künstler findet sich beim Hauptdarsteller: Der italienische Star-Schauspieler Elio Germano, mit künstlich schütterem Haar und künstlich verfaulten Zähnen, geht voll und ganz in der Rolle auf.
Germano stammelt, grummelt und brüllt. Er wedelt mit den Armen, er rollt mit den Augen. Er trägt dick auf. Er zeigt das verwundbare Tier in sich. Wie ein Getriebener spielt er einen Besessenen. Dafür wurde er an der Berlinale 2020 ausgezeichnet.
Kinostart: 29.04.2021.