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Neu im Kino «Killers of the Flower Moon»: Morde unter dem Mond der Urbewohner

Wenn Martin Scorsese ein Drama mit Leo DiCaprio und Robert De Niro besetzt, sind Oscars eigentlich bloss noch Formsache.

Kaum zu glauben, aber wahr: Ein indigener Stamm, der im Mittleren Westen viel karges Land besass, war in den frühen 1920er-Jahren gemessen am Pro-Kopf-Vermögen das reichste Volk der Welt.

Das von den Siedlern «Osage» genannte «Volk des Wassers» war durch Ölfunde auf ihrem Territorium quasi über Nacht steinreich geworden. Plötzlich konnten sich die kleine Gruppe nordamerikanischer Ureinwohner Autos und Bedienstete leisten.

Doch ihr Glück war nur von kurzer Dauer. Der Wohlstand zog im Nu Betrüger an, die aus Geldgier über Leichen gingen. Der Journalist David Grann brachte diese reale Mordserie zu Papier und landete damit 2017 einen Bestseller. Martin Scorsese sicherte sich daraufhin die Verfilmungsrechte und baute die True-Crime-Story zur tragischen Liebesgeschichte um.

Ernest macht Ernst und heiratet die mollige Mollie

Anders als im 352-seitigen Sachbuch stehen in dem 3 Stunden und 26 Minuten langen Drama nicht die Ermittlungen des frisch gegründeten FBI im Vordergrund.

Motiviert von seinem Onkel William (Robert De Niro), heiratet Ernest (Leonardo DiCaprio) Mollie (Lily Gladstone).
Legende: Trügerische Harmonie: Mollie blickt verliebt zu Ernest (Leonardo DiCaprio). Doch hinter diesem steht dessen gieriger Onkel William (Robert De Niro). Warner Bros.

Statt den Fall von aussen aufklären zu lassen, versucht Scorsese die Tragödie von innen zu beleuchten. Die Fremden sind in «Killers of the Flower Moon» folglich die Weissen.

Motiviert von seinem kriminellen Onkel William Hale (Robert De Niro), wickelt Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) die Osage-Frau Mollie Kyle (Lily Gladstone) um den Finger. Erst lange nach der Heirat wird Mollie klar, was für ein «gutaussehender Teufel» ihr Gatte tatsächlich ist.

Wahre Liebe, furchtbarer Verrat

Die präzise Schilderung der komplizierten Beziehung zwischen Mollie und Ernest ist das Herzstück des Films. Das sei laut Scorsese ganz im Sinne der direkten Nachfahren der ermordeten Osage gewesen: «Vergiss nicht, dass sich Ernest und Molly wirklich liebten», erinnerten sie den 80-jährigen Regisseur immer wieder.

Szenen einer Ehe: Leonardo DiCaprio blickt als Gatte Ernest nach links, seine Frau Mollie als Hintergangene nach rechts.
Legende: Szenen einer sonderbaren Ehe: Mollie begegnet den Schattenseiten ihres Mannes mit Gleichmut. Warner Bros.

Dieser kann bis heute nicht richtig fassen, wie es möglich war, «dass sich diese zwei Menschen bis zum bitteren Ende vertrauten». Die enge Bindung zwischen den beiden sei Teil der Tragödie gewesen, weil sie sich letztlich auf jemanden verlassen hatte, «der aus einer Kultur kam, die sich für überlegen hielt».

DiCaprio spielt diesen gutmütigen, aber leicht manipulierbaren Tölpel mit einer Mischung aus verschwitztem Charme und weisser Selbstherrlichkeit, die man nicht so leicht vergisst. Die stärkste Performance liefert hier aber nicht er und erst recht nicht Robert De Niro ab, der seiner dunklen Rolle nur wenige Schattierungen abzuringen weiss. Es ist vielmehr Newcomerin Lily Gladstone, die sich als stoische Mollie nie als Opfer sieht und stattdessen mit stolzer Haltung den Film dominiert.

Ein Leckerbissen, der viel Sitzfleisch abverlangt

Sehenswert ist Scorseses jüngstes Epos allemal. Und ähnlich wie dessen letzter Film «The Irishman» schreit auch «Killers of the Flower Moon» förmlich nach der grossen Leinwand. Daneben existieren mindestens zwei weitere Parallelen zwischen den Alterswerken.

Making-of Bild vom Dreh des Films mit Regisseur Martin Scorsese im Zentrum, flankiert von seinen Hauptdarstellern.
Legende: Regiemeister Martin Scorsese (2.v.r.) auf dem Set, umrahmt von seinem prächtigen Schauspiel-Ensemble. Warner Bros.

Erstens wurden beide Filme von Streaming-Diensten produziert: «The Irishman» von Netflix, «Killers of the Flower Moon» von Apple TV+. Will heissen: Ohne die finanzstarken Streamer wären diese Perlen gar nicht entstanden. Aber auch: Das Kino-Verwertungsfenster ist kurz und primär den Oscar-Richtlinien geschuldet.

Zweitens erfordern beide Epen Geduld: «The Irishman» blieb nur hauchdünn unter dreieinhalb Stunden, «Killers of the Flower Moon» ist bloss drei Minuten kürzer.

Kinostart: 19.10.2023

SRF 1, 10vor10, 19.10.2023, 21:50 Uhr

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