Wer sein Gesicht nicht kennt, kennt seine Fotos. Schlachten in Zürichs Strassen. Junge Männer mit langen Mähnen im Kampf mit schwer bewaffneten Polizisten. Chaos. Krawall.
Klaus Rózsas Vermächtnis: Es wird das fotografische Gedächtnis jener berühmt-berüchtigten Jugendunruhen sein, die das Zürich der frühen 1980er-Jahre prägten.
Wut im Bauch
Klaus Rózsa ist so einer, den die Zürcher Justiz früh in die unterste Büroschublade der Unbequemen und Unbeugsamen steckte. Ein stadtbekannter Charakterkopf der sogenannten «Bewegung», die er akribisch mit seiner Kamera dokumentierte. Und mit einer Riesenwut im Bauch.
Die Folgen sind Schikanen, Schmerzen und viel «Staatsschutz». Rózsa wird wiederholt zum Opfer von Polizeigewalt – und seine Fiche 3200 Seiten dick. Ein schwacher Trost: Heute ist sie ein preisgekröntes Prachtsexemplar der neueren Zürcher Buchmacherkunst .
Volltreffer
In «Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf» porträtiert nun Erich Schmid («Meier 19») den formidablen Fotografen, der immer auch ein Aktivist war. Und erst noch Ausländer und Jude.
Mit der Kamera – durchaus mal mit dem Megaphon: Rózsa stand in der ersten Reihe, wenn die Zürcher Jugend einen freien Raum für ihren kulturellen Freiraum verlangte. AJZ statt Opernhaus!
Die Kollegen sollen ihn gemieden haben, wenn die Lage wieder eskalierte. Denn bei Rózsa, so munkelte man, landen die Gummigeschosse. Und zwar mit Absicht.
«Filmische Umarmung»
Regisseur Schmid und Rebell Rózsa verbindet eine jahrelange Freundschaft. Schmid nennt seinen Dokumentarfilm denn auch eine «filmische Umarmung» – und lässt die nötige Distanz trotzdem nicht vermissen, die auch ein persönliches Porträt braucht.
Filme über Fotografen sind meist deshalb sehenswert, weil sie von ihrem starken Bildmaterial leben. Dass Erich Schmid den Aufwand nicht scheute, lange Briefe zu schreiben, um an die Archive der Zürcher Polizei zu kommen, macht «Staatenlos» noch reizvoller.
Schauen und Schaudern
Leider ja: Dem Film fehlen die Gegenstimmen des politischen Establishments, an dem Klaus Rózsa sich noch heute abarbeitet.
Esther Maurer, Josef Estermann und Robert Neukomm – drei gewesene Mitglieder der Zürcher Stadtregierung: Im Abspann werden sie als «Nichtauftretende» aufgeführt. Offenbar mochte niemand vor der Kamera erklären, warum Rózsa gleich dreimal die Schweizer Staatsbürgerschaft verweigert wurde.
Erich Schmid ist nah dran an Rózsa – nicht nur auf dem Beifahrersitz von dessen Kleinwagen. Gemeinsam fahren sie an die Schau- und Schauderplätze von Zürich und Budapest, Rózsas Geburtsstadt, die er mit zwei verlassen musste. Fluchtartig.
Tränen und Trauma
Erlebte Geschichte, erlittene Geschichten: Man steht gemeinsam im Luftschutzkeller, die den Geschwistern der Mutter zur tödlichen Falle wurde.
Man findet die Einschusslöcher in der Hauswand des Geburtshauses. Man erinnert an den Horror Holocaust, der fast die ganze Familie auslöschte. Rózsas Vater hatte Auschwitz überlebt.
Es mutet als fast zynische Pointe der Geschichte an, dass Rózsa im höheren Alter in die Heimatstadt seiner Eltern zurückzieht. Im politisch ultrarechten Orbán-Ungarn fühlt er sich freier als in der Schweiz. Hier hat man ihm nicht vergessen, dass er angeblich andere mit der Kamera behindere. Nämlich die Polizei bei der Arbeit.
Das Déja-vu
Rózsas Anwalt hat wohl recht, wenn er sagt: Der Fall seines Klienten vermittle eine Ahnung davon, wie wenig der Schweiz vor 30 Jahren zu einem Polizeistaat gefehlt habe.
Dass sein Klient Ende der Nullerjahre in Zürich von der Polizei wieder zusammengeschlagen wird, die er bei einem Zusammenstoss mit der Besetzerszene fotografiert: Es macht diesen berührenden Dokumentarfilm auch zum Mahnmal für unsere Gegenwart.
Kinostart: 6. April 2017
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 06.04.2017, 07:20 Uhr