Urs Graf begleitete für seinen neuen Dokumentarfilm während drei Jahren fünf Künstlerinnen und Künstler, die sich mit der Bildhauerei beschäftigen. Die physische Anstrengung bei der Formgebung einer künstlerischen Idee ist entscheidend. Doch alle gezeigten Kunstschaffenden leiden an einem körperlichen Gebrechen.
Schmerzen, Zweifel, Hoffnung
Renate Flury ist an Multipler Sklerose erkrankt. Der Solothurner Plastiker Schang Hutter hat nach einem Arbeitsunfall zahlreiche Streifungen erlitten. Der Franzose Daniel Pestel ist halbseitig gelähmt. Boris Mlosch leidet an Lungenhochdruck. Grafs Malerfreundin Cristina Fessler ist schwer erkrankt. Sie will sich erst filmen lassen, wenn sie wieder ein paar gute Tage hat.
«Gute Tage» heisst auch Grafs feinfühliger Dokumentarfilm, der Cristina Fessler gewidmet ist: Noch bevor der Filmemacher sie für sein neues Projekt gewinnen konnte, starb die Künstlerin 2012 nach langer Krankheit. Die unbeschwerteren Momente, an denen trotz aller Schmerzen und Zweifel doch etwas gelingt, sind die einzige Hoffnung, die den Protagonisten bleibt.
Kein Voyeurismus
Freimütig erzählen die Kunstschaffenden von ihren Erwartungen und Sorgen. Regisseur Urs Graf wahrt bei allem Mitgefühl die richtige Distanz, um seine Protagonisten nicht dem Voyeurismus preiszugeben. Das geschieht auch aus einer ganz persönlichen Betroffenheit.
Graf, der selbst nicht mehr gut zu Fuss ist, bekommt von seinem Arzt regelmässige Spaziergänge abseits der Strassen verordnet. Die Naturimpressionen, die er dabei mit seiner Kamera einfängt, dokumentieren nicht nur das Verstreichen der Zeit. Sie verdeutlichen die Immobilität der Porträtierten umso stärker.
«Ein täglicher Abschied»
Manche Szenen in «Gute Tage» sind entmutigend. Etwa, wenn ein kurzatmiger Boris Mlosch nach wenigen Strichen auf einer Leinwand kraftlos in sich zusammensackt. Oder wenn Renate Flury auf Knien malend feststellt, wie ihre körperlichen Kräfte stetig schwinden. «Es ist ein täglicher Abschied», sagt sie.
Doch dann gibt es eben auch die guten Tage. Auch das zeigt der inspirierende Film von Urs Graf: Wie klaglos die Kreativität immer wieder neue Wege geht und neue Ausdrucksformen findet.
Die Kunst, das macht der Dokumentarfilm klar, wird nicht einfach zum Stolperstein, sondern sie bereichert das Leben weiter. «Ich will meine Stärken erleben», bekräftigt Renate Flury. In solchen Augenblicken begreift man als Zuschauer, was Kunst kann.
Kinostart: 22. Juni 2017
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 21.6.2017, 08:20 Uhr