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Neu im Kino «L’insulte»: Die Wunden einer Region

Das libanesische Drama beginnt mit einer Zankerei zwischen zwei Männern. Und zeigt, wie der Streit sich auf das ganze Land ausweitet.

«Blöder Arsch!» Der Bauarbeiter Yasser (Kamel El Basha) wirft diese Worte dem Automechaniker Tony (Adel Karam) an den Kopf, nachdem dieser ihn provoziert hat. Damit beginnt die Geschichte von «L’insulte».

Im Drama geht es um die Spätfolgen des libanesischen Bürgerkriegs. Zwischen 1975 und 1990 bekämpften sich im Libanon verschiedene Gruppierungen in unterschiedlichen Koalitionen: Rechte und Linke, Muslime und Christen, Maroniten, Sunniten und Schiiten. Von aussen mischten sich unter anderem Israel, Syrien, die USA und Frankreich ein. Schätzungen zufolge wurden 150’000 bis 200’000 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten.

Noch heute prägt dieser Krieg den Libanon. Zwischen den unterschiedlichen Ethnien und Religionen des Landes kommt es immer wieder zu Spannungen.

Libanese gegen palästinensischen Flüchtling

Und so ist es kein Zufall, dass die Protagonisten Tony und Yasser ein Libanese und ein palästinensischer Flüchtling sind, ein Christ und ein Moslem. Denn dieser dramaturgische Kniff lässt den eigentlich harmlosen Streit zu etwas viel Grösserem werden.

Im Gerichtssaal, Blick aus der Richtung der Richter in den Saal, Wände und Bänke aus Holz, die Reihen gut gefüllt mit Menschen. Im Vordergrund zwei Männer: Der rechts ist jünger, grosser, trägt Jacket und Hemd. Er schaut bedrohlich zum kleineren herunter, dieser trägt ein langes schwarzes Gewand mit weissem Halstuch.
Legende: Tony (rechts) hat mit seinem Star-Anwalt so seine Probleme. Frenetic

Ihre Zankerei endet vor Gericht. Und wächst den zwei Männern schnell über den Kopf. Star-Anwälte mischen sich ein, die Medien, sogar der Präsident des Landes.

Die Verhandlung versetzt den ganzen Libanon in Aufruhr, es kommt zu Drohungen, Demonstrationen und Strassenkämpfen. Denn es geht um mehr als eine Zankerei zwischen zwei Männern. Es geht um die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Rache für die Rache für die Rache

Tony, Yasser und viele ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger haben während des Bürgerkriegs und anderer Konflikte Gewalt und unvorstellbare Grausamkeiten erlebt. Dies hat sie stark geprägt.

In Tonys Fall war es das Massaker von Damur, das wirklich stattgefunden hat. 1976 griffen palästinensische und muslimische Milizen die christlichen Bewohner des Dorfs Damur an. Sie zerstörten systematisch Häuser, die Kirche und den Friedhof, quälten, vergewaltigten und töteten rund 300 Einwohner, die nicht rechtzeitig fliehen konnten.

Der Angriff war ein Racheakt für das Massaker von Karantina, bei dem christliche Milizen schätzungsweise 1500 Zivilisten töteten. Das Massaker von Damur zog wiederum weitere Vergeltungsschläge nach sich.

Fremdenhass, Vorurteile, tief verwurzelte Ängste

Auch wer sich mit der Geschichte des Nahen Ostens nicht im Detail auskennt, wird «L’insulte» verstehen. Einerseits, weil die historischen Hintergründe klar dargelegt werden.

Andererseits auch, weil es im Drama, ganz simpel und doch so kompliziert, um Fremdenhass geht, um Vorurteile, um tief verwurzelte Ängste.

Auszeichnungen

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«L’insulte» wurde als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert. Am Filmfestival in Venedig gewann Kamel El Basha (Yasser) 2017 den Preis als bester Schauspieler.

«L’insulte» zeichnet ein eindrückliches, erschreckendes Bild der Zerrissenheit der Region. Entlässt den Zuschauer aber doch mit einem kleinen Hoffnungsschimmer.

Kinostart: 22.3.2018

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