Es vergeht eine satte Dreiviertelstunde in dieser Tragikomödie, bis Mutter und Sohn sich endlich gegenüberstehen.
Zu diesem Zeitpunkt neigt man bereits zur Vermutung, die Mutter würde sich diese Begegnung mit ihrem Nachwuchs nur einbilden. Denn bis hierhin liess fast alles im Film darauf schliessen, dass es gar nie zu diesem Treffen kommen würde.
Ein seltsames Geschenk
Lara, die Mutter, gespielt von Corinna Harfouch, wurde zuvor eingeführt als eine psychisch labile Frau, die offensichtlich darunter leidet, dass ihr Sohn Viktor (Tom Schilling) ausgezogen ist und sie meidet.
Heute wird Lara 60 Jahre alt und macht sich selbst ein seltsames Geschenk: Sie kauft spontan sämtliche Restkarten eines klassischen Klavierkonzertes auf, das Viktor noch am gleichen Abend geben soll. Der bis anhin wichtigste Auftritt seiner Karriere wird es sein.
Ein Knacks und seine Folgen
Über eine Reihe von Begegnungen erschliesst sich Laras Plan: Sie will die Tickets an Bekannte und Verwandte verschenken.
Doch Laras Charakter wirft Fragen auf, zumindest in der ersten Hälfte des Films: Sie tritt zwar überalll kühl und höflich auf, aber innerlich scheint sie angeknackst zu sein. Irgendetwas am Verhältnis zu ihrem abwesenden Sohn wirkt krankhaft – und man vermutet, dass Viktor ihr genau deswegen den Rücken zugekehrt hat.
Diese mysteriöse Hälfte des Films endet in der Mitte, und hier wird nun auch direkt angesprochen, warum das Mutter-Sohn-Verhältnis derart getrübt ist: Mama hat Viktors Pianistenkarriere auf autoritäre Weise gelenkt – sie hat ihn quasi dazu gezwungen.
Sie wollte aus ihm das Klaviergenie machen, das sie selbst nicht geworden ist. Sie war immer streng, fordernd, kritisch. Sie hat Viktor nicht sich selbst sein lassen – und daran leidet er noch heute.
Keine Plattitüden
Einen kurzen Moment lang befürchtet man, mit dieser klassischen Auflösung des Dramas könnte der Film ins Kitschige kippen: Was bis hierhin spannend war, droht nun banal zu werden.
Doch das Drehbuch (von Blaž Kutin) bleibt seiner munteren Erzählweise in der zweiten Hälfte treu, und der Regiestil von Jan-Ole Gerster ( «Oh Boy» ) lockert sich sogar noch ein wenig.
Die Dialoge waren bereits ab den ersten Minuten pointiert, jetzt kommt gelegentliche Situationskomik hinzu. «Lara» macht aber auch deshalb viel Spass, weil man die Macher nie dabei erwischt, dass sie freudianische Psychoanalyse illustrieren oder sich mit Offensichtlichem aufhalten.
Gags für Kenner
Wie viel Finesse in dieser Arbeit steckt, illustriert eine kurze Szene: Lara sitzt in einem Taxi und bittet den Fahrer, das Radio aufzudrehen. Etwa weil gerade Franz Liszt läuft oder Glenn Gould?
Nein, Fehlanzeige, es ist ein einfacher französischer Schlager: France Gall besingt die Unbezähmbarkeit des Rock'n'Rollers Jerry Lee Lewis im Chanson «Il jouait le piano debout».
Ein solcher Gag mag zwar nur für Eingeweihte amüsant sein. Aber er illustriert perfekt: Der Film «Lara» ist nie ganz dort, wo man ihn vermutet.