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Neu im Kino «Las Toreras»: Eine lebensbejahende Ode an die Kreativität

Berührend und versöhnlich: Die Künstlerin Jackie Brutsche verarbeitet im Film «Las Toreras» den Selbstmord ihrer Mutter.

Jackie Brutsche war gerade mal zehn, als sich ihre Mutter das Leben nahm; sie war an Schizophrenie erkrankt. Ein solcher Verlust ist für alle Betroffenen traumatisch, insbesondere für Kinder. Doch Jackie Brutsche hatte eine Verbündete, die ihr half, mit dem Trauma umzugehen: die Kreativität.

Eine Frau mit schwarzem Hut und viel schwarzer Schminke um ihre Augen
Legende: Die 46-jährige Wahlbernerin und multidisziplinäre Künstlerin Jackie Brutsche als Kunstfigur «Jack Torera». Filmbringer

«Ich habe schon als Kind viel gezeichnet und gebastelt. Das hat mich stark und resistent gemacht», erzählt sie. Heute ist die Kunst Jackie Brutsches Beruf. Sie tourt als Frontfrau von zwei Bands, «The Jackets» und «The Sex Organs», durch die Welt und bringt multidisziplinäre Einfraustücke auf die Bühne.

Die Kämpferin Jack Torera

Im Schaffen von Jackie Brutsche tauchte schon früh immer wieder die gleiche Kunstfigur auf. Eine Frau in spanischem Stierkampfkostüm mit Namen Jack Torera. «Sie ist mein Alter Ego, eine Kämpferin, ein starker Charakter, der tut und macht, was er will», so Brutsche.

Der Film «Las Toreras»

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In «Las Toreras» werden zwei Stränge miteinander verwoben. Auf der dokumentarischen Ebene begibt sich die reale Jackie Brutsche auf Spurensuche, um das Leben ihrer Mutter Carmen zu ergründen. Sie liest Tagebücher, Dokumente und Briefe und führt Interviews mit Verwandten.

Auf der Kunstebene spürt die Kunstfigur Jack Torera der Mutter nach und verfolgt sie durch die Zeit. Diese Ebene erinnert visuell an eine Kreuzung aus Spaghetti- und Tarantino-Western und gipfelt im Kampf von Jack Torera mit einem Monster, das sinnbildlich für die Krankheit der Mutter steht.

Brutsche gelingt es in «Las Toreras» visuell bestechend, mit viel Einfallsreichtum und Einfühlungsvermögen die eigene tragische Familiengeschichte aufzuarbeiten. Vor allem aber ist «Las Toreras» eines: Eine lebensbejahende Ode an die Kreativität.

Jack Torera habe ihr die Möglichkeit gegeben, ein eigenes Universum zu kreieren. Die Kunstfigur verleiht Brutsche eine Art Superkraft, um mit dem Schicksal ihrer Mutter umzugehen. «Aus Traurigem und Schmerzvollen kann so etwas Starkes entstehen», sagt sie.

Dennoch war die Geschichte der Mutter in Brutsches Kunst immer präsent. Ihr sei von ihrer Mama das Bild einer Frau geblieben, die sich stark nach einem anderen Leben gesehnt habe.

Dementsprechend verhandelte Brutsche oft das Streben nach unerreichbaren Zielen und welch verheerende Folgen das mit sich bringen kann. Sie fand aber stets einen leichtfüssigen, oft skurril-lustigen Zugang zu diesem Thema.

Vom Motor zur Blockade

Lange war das Schicksal der Mutter der Motor für die Kreativität der Künstlerin Jackie Brutsche. Das ging gut, bis sie so alt wurde, wie ihre Mutter Carmen war, als sich diese das Leben nahm.

«Da begann mich die Geschichte zu blockieren, weil ich sehr Vieles nicht wusste.» Im Film «Las Toreras» begibt sich Brutsche auf Spurensuche.

Spanien, Frankreich, Schweiz

Sie lernt die Geschichte einer jungen Frau kennen, die 1947 in der Region Extremadura in Spanien zur Welt kommt. Carmen träumt von der grossen weiten Welt, fährt nach Paris und macht dort die Bekanntschaft eines Schweizers: Jackies Vater Paul.

Die beiden ziehen nach Zürich und werden Eltern. In jungen Jahren ist Carmen eine lebensfrohe, fröhliche und kreative Frau. Allerdings zeigen Tagebucheinträge schon früh Anzeichen von Schizophrenie.

Was ist Schizophrenie?

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An Schizophrenie erkrankte Menschen können Informationen nicht nach ihrer Wichtigkeit filtern. Das heisst, dass tausende von Eindrücken gleichzeitig auf sie einprasseln.

Dabei sind das nicht nur reale Eindrücke, sondern auch imaginäre. Schizophrene Menschen haben Wahnvorstellungen und hören zum Teil Stimmen, die ihnen Befehle erteilen.

In Zürich verschlimmert sich Carmens Zustand. Es folgen Klinikaufenthalte, Therapien, Phasen der Besserung, Rückfälle. Carmen leidet so stark an der heimtückischen Krankheit, dass sie sich mit 40 Jahren das Leben nimmt.

Befreiung durch Aufarbeitung

Durch die Spurensuche und die filmische Aufarbeitung des Schicksals ihrer Mutter habe auf persönlicher Ebene eine echte Erleichterung und Versöhnung stattgefunden, sagt Jackie Brutsche.

Und was ist mit Jack Torera? «Jack Torera darf trotzdem weiterleben, auch wenn ich sie eigentlich nicht mehr benötige», sagt Jackie Brutsche und lacht. Die wilde Kämpferin wird also weiterhin durch die Kunstwelt galoppieren.

Bloss haben Jack Toreras Abenteuer ab sofort nicht mehr mit der Lebenswelt der Mutter zu tun, sondern mit dem Leben von Jackie Brutsche selbst. Ein Leben im Hier und Jetzt.

Kinostart: 16.11.2023

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 10.11.2023, 09:05 Uhr

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