Wenn man sich «Let Her Kill You» ohne Vorwissen ansieht, fällt der Groschen womöglich erst nach längerer Zeit: Nur eine einzige Schauspielerin ist im Bild.
Asia Argento – seit längerem wieder in einer Hauptrolle – agiert ganz allein vor der Kamera, vorwiegend in einem Chalet im sonnig-verschneiten St. Moritz. Ein Hund ist mit von der Partie, alle anderen Interaktionen finden über Kommunikationsgeräte statt. Bis kurz vor Schluss.
Neu ist der Trick nicht: Thriller wie «Locke» (2013) mit Tom Hardy oder «The Guilty» (2018) aus Dänemark basierten auf ähnlichen Konzepten – mit Erfolg.
In «Let Her Kill You» füllt Asia Argento nun die Leinwand im Alleingang. Sie spielt Anne, Deckname Anna. Die Ex-Agentin hat sich nach etlichen Spionage-Jahren in die Bündner Berge abgesetzt. Von hier aus plant sie den Ruhestand. Aber zu früh gefreut: Ihre Vergangenheit holt sie ein.
Was wird hier gespielt?
Wie schon in früheren Thrillern mit Solobesetzung besteht der Reiz von «Let Her Kill You» vorerst darin, dass man sich das Geschehen aus einer einzigen Perspektive zusammenreimen muss. Anne findet heraus, dass ihre Bleibe abgehört wird. Sie erhält Anrufe, tätigt Anrufe, spricht manchmal in Codes. Doch: In was für eine Affäre ist sie da verwickelt? Und nach wessen Regeln spielt sie?
Über Umwege etabliert das Drehbuch einen einfachen Plot: Der Film spielt im Frühwinter 2008, und Anne ist im Besitz einer Videodatei, die Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten gefährden könnte. Einflussreiche Leute machen Druck auf sie, aber mit dem Druckmittel in der Hand sitzt sie am längeren Hebel – solange sie keine strategischen Fehler begeht.
Irgendwann stellt sich zudem heraus, dass eine involvierte Frau (gespielt von Jeanne Balibar) früher einmal Annes Geliebte war.
Verschwommene Verschwörung
«Let Her Kill You» hat eine grosse Schwachstelle: Die Verschwörung im Hintergrund bleibt das, was Hitchcock einen «MacGuffin» nannte: ein reines narratives Konstrukt. Das Gezerre um das Videofile hält zwar die Handlung und den anhaltenden Suspense am Laufen. Es wird jedoch mit reichlich Klischees aus dem Spionagegenre aufgebläht und bleibt undurchsichtig. Ob Obama am Schluss gewählt wird oder nicht – das ist dem Publikum unter diesen Umständen egal.
Nicht egal – und das ist die Stärke des Films – ist dem Publikum dagegen, was aus Anne wird. Denn Asia Argento brilliert als Darstellerin: Die ganzen 90 Minuten lang fiebert man mit dieser toughen Frau mit, und hofft, dass sie sich heil aus der Affäre ziehen kann.
Man will auch wissen, wie sich die Romanze mit Jeanne Balibars Figur entwickelt – obwohl deren Einbettung in die Handlung stark aufgesetzt wirkt.
Anklänge an Paranoia-Thriller
«Let Her Kill You» funktioniert wesentlich besser, wenn man sich nicht einen aussagekräftigen Spionagefilm erhofft, sondern einen kleinen, aber feinen Psychothriller mit visuellen Stärken und emotionalem Tiefgang, in dem eine Einzelperson einer abstrakten, unsichtbaren Bedrohung trotzt.
In diesem Sinn lassen sich auch Anklänge an US-Paranoia-Thriller der 70er wie Alan J. Pakulas «Klute» (1971) oder Francis Ford Coppolas «The Conversation» (1974) herauslesen.
Es wäre zwar übertrieben, «Let Her Kill You» gleich in eine Reihe mit solchen Klassikern zu stellen. Aber als eine fast melancholische Hommage daran funktioniert der Film bestens.
Kinostart «Let Her Kill You»: 27. April 2023.