Der Rotzbub beginnt im Mutterleib. Wir sehen Baby Deix zufrieden mit seiner eigenen Nabelschnur spielen, bis ihn die Wehen seiner Mutter gnadenlos in unsere harte Welt pressen.
Dort klassifiziert ihn die Hebamme nach dem obligaten Schlag auf den Po und dem entsprechenden Baby-Gebrüll auch gleich: «A Rotzbua!»
Dem Rotzbub-Titel macht der junge Deix bald auch als Teenager alle Ehre. Er ist zwar scheu und nicht der Beste in der Schule. Aber er kritzelt auf Papier und in seine Hefte, wann immer er kann. Und er kann.
Die nackte Frau Bürgermeister
Das geht so weit, dass sein Schulfreund ein gut laufendes Geschäft aufzieht mit den Pin-Up-Zeichnungen nackter Frauen, die der pubertäre Manfred anfertigt.
Als er aber die Frau Bürgermeister nackert zeichnet und deren Sohn sich das Blatt auch kauft, reagiert Mama Bürgermeister ziemlich empört auf ihre erotisierte Leibesfülle: «Diese widerliche Anleitung zur Selbstbefleckung!»
Weg mit dem Hakenkreuz
Dabei ist die pubertäre Erotik der Schuljungen noch das Schönste im Dorf Siegheilkirchen. Manfred Deix kam 1949 zur Welt. In den frühen 1960er-Jahren, in denen der Film spielt, ist im Dorf noch viel aus der Nazizeit geblieben.
Dazu gehört auch das heroische Wandgemälde inklusive Hakenkreuz am Rathaus, das der Kunstmaler-Onkel des jungen Manfred übermalen soll. Der ist dazu eigens aus der Stadt gerufen worden, wie der Bürgermeister stolz erklärt. Der sei berufen dazu, schliesslich habe er ja schon das alte gemalt.
Ein Trickfilm für den Triebzeichner
«Rotzbub – der Deixfilm» war als Trickfilmprojekt gut zehn Jahre unterwegs. Er basiert auf den Jugenderinnerungen des Künstlers, der von sich selbst ironisch als von einem «Triebzeichner» redete. Manfred Deix war auch bis zu seinem Tod vor sechs Jahren als Art-Director in die aufwändige deutsch-österreichische Koproduktion involviert.
Die bitterbösen Karikaturen von Deix
Unter der Regie von Marcus H. Rosenmöller (unter anderem «Wer’s glaubt wird selig» mit Marie Leuenberger von 2012) und dem spanischen Animationsfilmexperten Santiago Lopez Jover erwacht der typische naturalistisch-karikierte Deix-Stil dreidimensional zum Leben. In all seiner prächtigen Grauslichkeit.
Pfarrer, Altnazis und Pickelgesichter
Da sieht man dem feisten katholischen Pfarrer und Lehrer seine unterdrückte, triebhafte Bösartigkeit auf den ersten Blick an. Die Pickel der Teenager verspritzen ihren Eiter mit angemessen cartoonhaftem Sound, und die boshaften Altnazis sind ein integraler Teil des Dorfes.
Und doch berührt einen die einfache Erzählung vom Jungen, der sich der Enge und Engstirnigkeit des Dorfes zum Trotz in ein mageres Roma-Mädchen verliebt. Denn so kommt es zum Aufstand der Jugend gegen den Rassismus und die Bigotterie der Alten, der darin gipfelt, dass Gott ziemlich wörtlich auf Siegheilkirchen scheissen wird.
Plump und poetisch
«Rotzbub» ist auf den ersten Blick so wenig subtil, wie es die Karikaturen von Manfred Deix waren. Aber auf den zweiten Blick entdeckt man im Film wie in den Bildern von Deix eine witzige Poesie, einen Gegenentwurf zu den Grauslichkeiten des Lebens und der Leute.
Da formen sich auch schon mal die Wolken am Himmel zum anmutigen Bild einer kiffenden Katze. Und für einen Moment überstrahlt das Blau des Himmels das Braun des Dorfes.
Kinostart: 31. März 2022