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Neu im Kino «Mare»: Zurückhaltend nah

Reif, entschlossen, persönlich: Im Berlinale-Film der Schweizer Regisseurin Andrea Štaka stürzt sich eine Mutter in eine Affäre.

Mare (Marija Škaričić) lebt mit ihrem Mann und drei Kindern direkt neben dem Flughafen von Dubrovnik. Ihr ältester Sohn ist ein nicht ganz einfacher Teenager, sein jüngerer Bruder und die Schwester der beiden hängen noch deutlicher an der Mutter.

Auch Mares Mann Đuro (Goran Navojec) hängt an seiner Frau und dem zuweilen anstrengenden Familienalltag. Dass sich daran etwas ändern könnte, ahnt er, als Mare beiläufig meint: Sie würde eigentlich gerne wieder am Flughafen arbeiten – so wie vor den Kindern.

Fern von zögerlich

Andrea Štaka inszeniert den Alltag von Mare in dichten Szenen auf Super 16mm. Unter anderem darum, wie sie sagt, weil es da beim Drehen ernst gelte: Was beim Proben mit den Schauspielerinnen und Schauspielern gefunden wurde, muss effizient in die handliche Kamera gepackt werden. «Trial and error», wie beim digitalen Dreh üblich, sei da keine Option.

Das führt nicht nur zu sehr physischem Bildmaterial mit ungewohnt verbindlicher Farbgebung. Es spiegelt auch die Sicherheit, mit der sich Mare in eine Affäre mit einem polnischen Bauführer stürzt, als sich die Gelegenheit bietet.

Da ist kein zögerliches Ausprobieren. Mare hat sich entschieden – nicht gegen ihren Mann und nicht gegen ihre Familie, aber ganz klar für diese leidenschaftliche heimliche Freiheit.

Wärme statt Distanz

Weil die Handkamera den Figuren oft direkt über die Schulter filmt, bei Mare manchmal sogar auf der Schulter zu sitzen scheint, gibt es keine Distanz zu überwinden.

Eine Frau und eine Mann kurz vor dem Kuss.
Legende: Nah dran: Andrea Štaka geht in «Mare» alles andere als auf Distanz. Okofilm Productions

Wenn die Mutter ihrer Tochter wunschgemäss ihre warme Hand auf die Stirn legt, wie es ihre Mutter schon bei ihr zu tun pflegte, spürt man im Kino die Wärme. Wenn die Tochter hoffnungsvoll fragt, ob dereinst auch ihre Hand so warm sein werde, gibt es daran auch beim Zuschauer keinen Zweifel.

Musik markiert Präsenz

Alles an diesem Film ist wohldosiert, stimmig, zurückhaltend. Der erste grosse Musikeinsatz kommt nach etwas mehr als einer halben Stunde: überraschend zunächst, weil einem das Fehlen von Musik bis dahin nicht aufgefallen ist. Aber nun ist das ein unscheues Schwelgen für kurze Zeit.

Die Brücken in die Vergangenheit

Der Film bleibt in Andrea Štakas Familie: Die Schauspielerin Marija Škaričić, die Mare verkörpert, war schon zentral in «Das Fräulein», mit dem Štaka 2006 den Goldenen Leoparden von Locarno gewann.

Mares Mann Đuro wird von Goran Navojec gespielt, im richtigen Leben der Partner der Schauspielerin. Und Mirjana Karanović, das Fräulein, spielt dieses Mal Mares Mutter. Die Brücken nach Zürich und damit zum Leben der Regisseurin und ihrem ersten grossen Erfolg werden mehrfach verbal geschlagen.

Schliesslich klingt der Filmtitel Mare wohl nicht zufällig wie «Cure» (gesprochen «Tsure »), Štakas letztem Spielfilm, der sich schon von Zürich nach Dubrovnik bewegte.

«Mare» ist ein täuschend einfacher Film, ohne die mysteriösen Doppelungen von «Cure», viel näher beim beobachtenden, mitfühlenden Realismus von «Das Fräulein». Und gleichzeitig noch einmal reifer, entschlossener und persönlicher.

Kinostart Deutschschweiz: 12. März 2020

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 12.3.2020, 9.03 Uhr

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