Es war einmal ein Junge: Lee Alexander McQueen. Der Junge wuchs in London in einfachen Verhältnissen auf. Der Junge hatte einen grossen Traum und einen noch grösseren Willen: Er wollte Modedesigner werden.
Mit seiner Leidenschaft für Mode hat es der Brite weit gebracht. Vom Hobby-Schneider für seine Schwestern zum Haute-Couture-Designer beim Pariser Luxus Modehaus Givenchy. Aber so glamourös diese Tellerwäscher-Karriere auf den ersten Blick erscheint: Sie ist es nicht!
Dokumentarfilm über «Enfant terrible» der britischen Modeszene
Der Schweizer Regisseur Ian Bonhôte hat zusammen mit dem Briten Peter Ettedgui ein feinfühliges Porträt über Star-Designer Alexander McQueen geschaffen. Interviews mit der Mutter, der Schwester und dem Schwager geben persönliche Einblicke in das Leben von McQueen. Im Zentrum steht nicht die Mode, sondern der Mensch. Er war ein Getriebener. Diesen Eindruck vermittelt der Film.
Was trieb diesen jungen Briten an, der wie besessen bis tief in die Nacht die Skizzen für die neue Kollektion zu Papier brachte? Der Antrieb kam aus seinem Innersten. Alexander McQueen war wie ein Vulkan.
Als Kind sah er, wie seine Schwester von ihrem Mann misshandelt wurde. «Wenn du als Achtjähriger siehst, wie deine Schwester von ihrem Mann gewürgt wird, der inzwischen Gott sei Dank tot ist, dann möchtest du nichts anderes, als Frauen stärker aussehen lassen», sagte McQueen in einem Interview. Derselbe Mann hat Alexander McQueen sexuell missbraucht.
Die schlimmen Erlebnisse der Kindheit haben ihn und sein Kunst natürlich geprägt. All das, was sich in seiner verdunkelten Seele abspielte, schoss wie heisses Lava aus ihm heraus und inspirierte seine Mode.
Morbide Modeschau
Eine Glasbox mitten auf dem Laufsteg. Die Wände zerschellen am Boden. In der Box liegt eine Frau auf einem Sofa. Nackt, dick und umschwärmt von Motten. Kein schlanker Glamour. Das schockierte die Modeindustrie 2001. McQueens Modeschauen, ein Erlebnis. Die Inspiration für diese Inszenierung war das gruselige Foto «Sanitarium» (1983) des amerikanischen Fotografen Joel-Peter Witkin.
Provozieren, verstören und Grenzen sprengen, das war schon immer Alexander McQueens Ding. Und das war dem «Enfant terrible» der britischen Modeszene schon 1995 gelungen. Seine damalige Herbst-Winter-Kollektion nannte er «Highland rape», frei übersetzt: Vergewaltigung im schottischen Hochland.
Diese Show wurde laut McQueen von den Medien oft missverstanden. Weil die Models mit zerrissenen Kleidern auf den Laufsteg liefen und es so aussah, als wären sie vergewaltigt worden, stempelten die Medien den Designer als Chauvinist ab. Dieser stritt die Vorwürfe ab und sagte, er hätte mit dieser Kollektion die «Highland Clearances», die Vertreibung der Bewohner des schottischen Hochlands Ende des 18. Jahrhunderts, kommentiert.
Erfolgreich einsam
Irgendwie schaffte der Hooligan der Modeszene den Spagat zwischen skandalösen Laufsteg-Shows und Haute Couture. Die Modehäuser lagen ihm zu Füssen, er war international erfolgreich. Er hatte eigentlich alles, was er sich erträumt hatte.
Mit dem Erfolg stieg aber auch der Druck. Immer mehr Shows, immer höhere Ansprüche. Der Designer infizierte sich mit HIV. 2007 nahm sich seine beste Freundin und Muse Isabella Blow das Leben. Ein Tiefschlag für McQueen. Drei Jahre später starb seine Mutter. Deren Tod hat ihn so schwer getroffen, dass er eine Woche lang nicht aus dem Bett kam.
Damals schrieb der 40-Jährige auf Twitter es sei eine «verdammt schreckliche Woche... Aber das Leben muss weitergehen». Oder auch nicht. Einen Tag vor der Beerdigung seiner Mutter nahm sich McQueen das Leben.
Kinostart: 23.09.2018