Diane (Emmanuelle Devos) aus Lausanne sucht den Fahrer oder die Fahrerin jenes mokafarbenen Autos, welches ihrem Sohn den Tod gebracht hat. Als sie das Paar schliesslich jenseits der Grenze in Evian ausfindig macht und kennenlernt, verschieben sich die Perspektiven und die Wahrheit ist nicht mehr so offensichtlich, wie sie glaubte.
Die gleiche Person in jeder Szene
Sechs Jahre ist es her, seit der Westschweizer Frédéric Mermoud mit seinem ersten Langspielfilm «Complices» (u.a. Schweizer Filmpreis für das beste Drehbuch 2010) auffiel.
In der Zeit danach hat er nicht etwa (was in der Schweiz nicht überraschen würde) um die Finanzierung seines nächsten Films gekämpft, sondern als Regisseur bei der erfolgreichen ersten Staffel der französischen Serie «Les revenants» weitere Erfahrung gesammelt.
Nach der Zusammenarbeit mit Emmanuelle Devos bei «Complices» wollte er unbedingt wieder mit der Schauspielerin drehen, am liebsten einen Film, bei dem sie in jeder einzelnen Szene präsent sein würde. Im Roman «Moka» von Tatiana de Rosnay glaubte er dann auch, den richtigen Stoff für das Projekt gefunden zu haben.
Wie ein Schachspiel
Der fertige Film, der auf der Piazza Grande in Locarno letzten Sommer seine Uraufführung erlebt hat, gibt ihm so ziemlich in jeder Beziehung recht: Der Stoff mit seiner Suche nach einer vermuteten Wahrheit bietet mehr als genug Material für Szenen, in denen Emmanuelle Devos ihre faszinierende Präsenz zwischen Entschlossen- und Verträumtheit einbringen kann.
Ihren Gegenpart bildet die 68-jährige Nathalie Baye als Marlène, Inhaberin eines Schönheitssalons und eine überaus energische (und schöne) Selfmade-Woman.
Marlène hat eine adoleszente Tochter und einen etwas jüngeren Partner. Diane ist seit dem Tod des Sohnes von ihrem Mann getrennt. So bildet sich im Verlauf des Films ganz diskret jene oft so fruchtbare Spiegelkonstellation heraus, eine Figurenaufstellung, die ans Schachspiel erinnert.
Faszinierend ab den ersten Minuten
Emmanuelle Devos‘ Diane ist eine entfesselte Figur, eine Frau, die mit dem Tod ihres Sohnes die Erdung verloren hat, aber nicht völlig.
Sie weiss selber nicht so genau, was sie eigentlich will, ausser Gewissheit. Zugleich aber bestimmen immer stärker offensichtliche Rachegedanken und eine masslose Wut ihr Handeln und Trachten.
Das macht den Film faszinierend ab den ersten Minuten, in denen Diane sich aus ihrer Trauer herausreisst und zu handeln beginnt.
Über einen Privatdetektiv macht sie mögliche Autos und ihre Besitzer ausfindig, sucht sie, beobachtet sie und lernt dabei jenseits der Grenze und auf der anderen Seite des Genfersees auch einen jungen Mann kennen, der ihr in ihrer neuen Ungebundenheit nicht nur anziehend erscheint, sondern auch nützlich.
Der Genfersee als Spiegel
Der Film mit dem Gerüst eines psychologischen Krimis bleibt stets bei Diane und stellt alle anderen Figuren in ihren Anziehungs- und Abstossungskreis. Dabei wirkt selbst die Landesgrenzen überschreitenden Koproduktions-Konstruktion für einmal nicht nur stimmig, sondern geradezu fruchtbar. Das verlorene alte Leben auf der einen Seeseite spiegelt sich im nicht mehr so gefestigten auf der anderen.
«Moka» ist ein reifer Film und Frédéric Mermoud war schon mit seinem Erstling kein Jungfilmer mehr, sondern ein offensichtlich bedächtiger und talentierter Beobachter von Menschen.
Kinostart: 30.03.2017
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 29.03.2017, 17:15 Uhr