Ein wasserstoffblonder Chignon nach Tippi-Hedren-Art hier, ein brünetter Bouffant-Look à la Jackie Kennedy dort. Ein flüchtiger Blick auf die opulenten Frisuren der Hauptdarstellerinnen reicht, um das Gesehene räumlich und zeitlich einzuordnen.
Wir befinden uns in einer vermeintlichen Vorstadtidylle im Amerika der 1960er-Jahre mit allem, was dazugehört: ein schicker Wagen vor der Einfahrt zum Beispiel, direkt neben dem gleichermassen herausgeputzten Garten. Die von traditionellen Geschlechterrollen getragene Kernfamilie gilt als Idealbild, das von Hausfrauen und Geschäftsmännern gepflegt wird.
«Genügt dir das?», will die blonde Alice (Jessica Chastain) von ihrer dunkelhaarigen Nachbarin Celine (Anne Hathaway) schon nach wenigen Filmminuten wissen. Gemeint ist das selbstgenügsame Leben als Mutter im trauten Heim, das sich damals kaum mit einer Karriere ausser Haus verbinden liess.
Horror hinter der Hecke
Doch wer nun denkt, dass hier im Stile von «Mad Men» patriarchale Strukturen seziert würden, ist auf der falschen Fährte. «Mothers' Instinct» braucht sein Sixties-Setting bloss, um geschlechtsspezifische Verhaltensmuster in einem einigermassen plausiblen Rahmen auf die Spitze zu treiben. Ganz altmodisch, wie bei Hitchcock. Nur leider nicht annähernd so spannend.
Dabei beginnt es extrem dramatisch: Mit Celines neunjährigem Sohn Max, der über die Balustrade des Balkons geklettert ist, um ein selbstgebasteltes Vogelhäuschen zu montieren. Alice sieht das ungelenke Unterfangen mit Schrecken und rennt ins Nachbarhaus, um den Jungen zu retten. Doch sie kommt zu spät. Max stürzt und stirbt im Garten. Klar, dass für seine Mutter Celine, die beim Staubsaugen nichts vom Unglück mitgekriegt hat, die Welt zusammenbricht.
Nun beginnt der psychologisch perfide Part: Alice glaubt, dass Celine sie für den Unfalltod verantwortlich macht. Diese wiederum beginnt sich immer öfter ungefragt mit Alices Sohn Theo zu treffen, um mit diesem um Max zu trauern. Was in Alice die Angst schürt, dass sich Celine auf irrationale Weise an ihr rächen will.
Melodram mit manipulativen Müttern
«Mothers' Instinct» basiert auf einem belgischen Roman, der bereits 2018 verfilmt und nun vom französischen Regiedebütanten Benoît Delhomme reinszeniert wurde. Dessen mangelnde Erfahrung dürfte dazu beigetragen haben, dass sich das Hollywood-Remake recht eng ans wenig berauschende Original «Duelles» hält.
Davon absetzen kann sich «Mothers' Instinct» nur durch die Schauspielleistungen: Was Anne Hathaway und Jessica Chastain als passiv-aggressive Kontrahentinnen abliefern, ist zwar nicht zwingend preiswürdig, aber doch sehenswert. Dumm nur, dass ihre Figuren nicht als Identifikationsfiguren taugen, ja sogar misogyne Klischees bedienen.
Mamis als allzu weibliche Monster
Ohne die Wendungen zu nennen, muss festgehalten werden: Die Story verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit und endet geradezu als Farce. Im dritten Akt opfert der Thriller letztlich all seine Andeutungen und Ambiguitäten, um das Publikum mit einem maximal verstörenden Twist zu überraschen.
Wenn dann auch noch Streicher erklingen, die an Hitchcocks Hauskomponisten Bernard Hermann erinnern, wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Ergebnis besonders deutlich: Die Aufbauschung weiblicher Schwächen zu monströser Mütterlichkeit tut den Sinnen weh, ohne Sinn zu stiften.
Kinostart: 27.6.2024