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Anna Karenina steht vor einem Zug.
Legende: Die tragische Geschichte um Anna Karenina erhält eine weitere Verfilmung. Trigon-Film

Neu im Kino Neuer Blick auf die tragische Liebesgeschichte von Anna Karenina

Seit längerem kommt mit «Anna Karenina: Vronsky's Story» wieder eine russische Verfilmung von Tolstojs Klassiker ins Kino. Regisseur Karen Schachnasarow rückt den Liebhaber Vronskij ins Zentrum seiner Interpretation des traditionsreichen Stoffes.

Anna Karenina von Lew Tolstoj ist einer der bekanntesten Romane der Weltliteratur. Der grosse russische Autor veröffentlichte das Werk 1878 und es wurde seither nicht nur millionenfach verkauft, sondern ist auch über 60 Mal verfilmt worden. Jetzt hat sich der russische Regie-Altmeister Karen Schachnasarow dem Stoff angenommen.

Reizvoller Perspektivenwechsel

Regisseur Schachnasarow zieht in diesem Film alle Register des gefühlsbetonten Kinos, um die Anna-Karenina-Geschichte um Liebe, Treue, Eifersucht und Hass zu erzählen: herausragende Schauspieler, emotionale Musik, eine historische Kulisse, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet ist und die von scheinbar unzähligen Statisten bevölkert wird.

Grossartige Landschaftsaufnahmen und eindrucksvolle Bilder historischer russischer Städte wechseln mit Szenen, die vor dem prunkvollen Interieur der Paläste russischer Adliger spielen.

Ballszene in «Anna Karenina: Vronsky's Story»
Legende: Ausgestattet mit viel Pomp und unzähligen Statisten: Die Ballszenen in «Anna Karenina: Vronsky's Story». Trigon-Film

Reizvoll an Schachnasarows Inszenierung ist überdies, dass er einen anderen Blickwinkel wählt als Tolstoj: Der Film setzt dreissig Jahre nach dem Tod von Anna Karenina ein und lässt deren einstigen Liebhaber Vronskij erzählen. Wir erfahren in Rückblenden vom damaligen Geschehen, wie sich etwa der dandyhafte Vronskij in die längst verheiratete Anna verliebte.

Aus Ablehnung wird Liebe

Aus der anfänglichen Ablehnung Annas Vronskij gegenüber entwickelt sich alsbald eine Liebschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht. Da nützt es nichts, dass Annas Ehemann die Untreue zur Raison ruft.

Die Leidenschaft zwischen Anna und Vronskij ist jedoch stärker. Anna wird von ihrem Liebhaber schwanger. Sie, die bereits mit ihrem Ehemann einen kleinen Sohn hat.

Und dann beginnt das Verhängnis: Anna muss ihren Knaben zurücklassen, als sie für Vronskij die Familie verlässt. Sie verkraftet den Verlust des Sohnes jedoch nicht.

Und als schliesslich Vronskijs Gefühle für Anna erkalten, bricht ihr dies das Herz. Anna Karenina wählt den Freitod.

Eine Hälfte des Doppelromans fehlt

So ergreifend «Anna Karenina: Vronsky's Story» auch ist, er wird der Romanvorlage nicht wirklich gerecht. Er unterschlägt, dass Tolstoj es eben gerade nicht dabei belässt, das grauenvolle Schicksal Anna Kareninas zu schildern.

Vielmehr ist Tolstojs Werk als Doppelroman konzipiert, in dem der Ehebruchstragödie im städtischen Milieu eine zweite Erzählung gegenübergestellt ist. Diese spielt auf dem Land und handelt vom Ehepaar Lewin. Dieses versucht im Einklang mit der Natur zu leben und ihr Dasein auf eine der Natürlichkeit folgende solide moralische Grundlage zu stellen.

Vronskij liegt im Bett.
Legende: Vronskij erzählt in Rückblenden von seiner stürmischen Liebe zur verheirateten Anna Karenina. Trigon-Film

Für den Moralisten Tolstoj war dieser zweite Handlungsstrang eminent wichtig: Erst durch ihn stellen sich die Verlogenheit und die patriarchale Heuchelei heraus, die Anna Karenina zum Verhängnis werden.

Zu wenig Tolstoj

Davon ist in diesem Film jedoch kaum etwas zu erfahren: von Tolstojs bitterer Kritik an der Gesellschaft, die den Einzelnen unter Zwang setzt, ihn dadurch von sich selbst entfremdet – und am Ende in den Suizid treibt.

Regisseur Karen Schachnasarow beschränkt sich darauf, einmal mehr eine allgemein bekannte Geschichte zu erzählen. Er tut dies zweifelsohne packend, solide und mit allen Registern der cineastischen Melodramatik. Aber auch nicht mehr. Von Tolstoj findet sich in diesem Film zu wenig.

Kinostart: 21. Dezember 2017

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 20.12.2017, 07:20 Uhr.

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