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Kinostart von «Ostrov – Die verlorene Insel»
Aus Kultur-Aktualität vom 16.12.2021. Bild: Visions du Réel 2021
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Neu im Kino «Ostrov – Die verlorene Insel»: Wo die Hoffnung Putin heisst

Prekäre Poesie: Eindrücklicher Dokumentarfilm über einen russischen Fischer, der den Glauben an die Zukunft nicht verloren hat.

Das Aluboot mit dem Aussenbordmotor schlägt hart auf die Wellen. Iwan fährt auf das offene Meer hinaus und blickt in alle Richtungen, über beide Schultern. «Sie können von überall kommen», sagt er. «Aber bei schlechtem Wetter bleiben sie meist an Land.»

«Sie» sind die russische Küstenwache. Iwan ist Störfischer, wie schon Generationen vor ihm in den alten Sowjetzeiten. Nun ist die Jagd auf die Kaviarfische allerdings verboten, Iwan wurde schon einmal erwischt.

Foto Mann mit Rücken zugewandt steht auf kleinem Holzboot, hält Fischernetz
Legende: «Wenn sie uns erwischen, sind wir erledigt»: Fischer Iwan auf verbotenem Kaviarfang. © Visions du Réel 2021

Aber was soll er machen? Es gibt keine Arbeit auf der Insel, es gibt gar nichts. Nur seine Familie und ein paar Freunde, und von irgendetwas müssen sie ja leben.

«Die Verwaltung hat uns nicht vergessen», sagt der Fischer einmal im Film. «Die haben bloss keine Zeit und anderes zu tun. Iwan und sein Nachbar sind fatalistisch und zuversichtlich zugleich.

Poetische Seelenlandschaft

Die mittlerweile in der Schweiz lebende russische Journalistin und Filmemacherin Svetlana Rodina und ihr Co-Regisseur und Kameramann Laurent Stoop porträtieren Iwan und seine Frau, ihre Kinder und die Schwiegertochter, Nachbarn, Freunde und Verwandte wie die Insel und das Meer als Teil einer physischen und gleichzeitig poetischen Seelenlandschaft.

Die Härte des alltäglichen Lebens kontrastiert mit den Momenten der Zuneigung, der Freundschaft. Und vor allem kontrastiert sie mit den Erinnerungen an die grosse Zeit des sowjetischen Aufbruchs und der vaterländischen Verteidigung der Freiheit gegen den Faschismus, den der 50-jährige alte Iwan allerdings nur vom Hörensagen, der Propaganda und dem Schulunterricht kennen dürfte.

Sie klammern sich an Putin

Rodina und Stoop bringen einem diese Menschen auf ihrer verlorenen Insel nahe. Und gleichzeitig bekommt man das Gefühl, Ostrov stehe hier für ganz Russland, für das Paradox der Lebensfreude im Fatalismus, für das Schwanken zwischen Verzweiflung und einem unerschütterlichen Glauben.

Am deutlichsten wird das während der Neujahrfeier. Iwan und seine Frau tanzen ausgelassen. Plötzlich ist Ruhe angesagt, denn im Fernsehen kommt Putin mit seiner Neujahrsansprache.

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Trailer zu «Ostrov - Die verlorene Insel»
Aus Kultur Extras vom 14.12.2021.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten.

Briefe ohne Antwort

Dann fragt einer, ob Iwan eigentlich je eine Antwort auf seinen Brief an Putin bekommen habe? Nein, erwidert Iwan, seltsamerweise nicht. Jemand müsse sie abgefangen haben, mutmasst er. Aber er werde wieder einen schreiben.

Das Leben auf der Insel ist nicht einfach. Aber der Glaube an Putin hilft offensichtlich, den Mut nicht zu verlieren. Und so vermittelt der eindrückliche Dokumentarfilm von Svetlana Rodina und Laurent Stoop zumindest eine gute Ahnung davon, warum Realität und Propaganda sich nicht gegenseitig ausschliessen.

Nicht nur auf dieser verlorenen Insel im kaspischen Meer.

Kinostart: 16.12.2021

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 16.12.2021, 07:06;

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