Es beginnt ganz harmlos mit einem Schwatz unter Freunden in Alberto Giacomettis Pariser Atelier. Der gefeierte Bündner Maler und Bildhauer fragt den amerikanischen Schriftsteller James Lord, ob er ihn portraitieren dürfe.
Der fühlt sich geschmeichelt und sagt begeistert zu. Schliesslich hat der US-Autor noch ein bisschen Zeit, bevor ihn sein Flieger zurück in die Heimat bringt. Und mehr als drei, vier Stunden werde das Ganze sicher nicht dauern. Doch es kommt anders – mit nervenaufreibenden Folgen für alle Beteiligten.
Der Perfektionist in Aktion
«Fuuuuuuuck!» Giacometti flucht und stöhnt. So hat er sich das Ergebnis nicht vorgestellt. Also übermalt er die Leinwand und beginnt von vorne. Das kostet freilich Zeit.
Aus Stunden werden Tage, aus Tagen Wochen. Immer wieder muss Lord seinen Rückflug umbuchen. Das ist komisch und tragisch zugleich.
Angesichts des wachsenden Frusts fragt man sich als Zuschauer einerseits: Wie lange soll das noch gehen? Anderseits könnte man Geoffrey Rushs Schauspielkunst ewig zusehen. Zumal die im Jahre 1964 angesiedelte Handlung mehr transportiert als nur einen faktengestützten Running Gag.
Kunst als Sisyphusarbeit
«Final Portrait» will durch das ständige Scheitern nicht nur Alberto Giacometti skizzieren. Dem Film geht um grundsätzlichere Dinge. Zum Beispiel um die Frage, ob Künstlertugenden wie grenzenloses Engagement und ein hoher Anspruch Segen oder Fluch sind. Giacometti selbst kommt im Film zu folgender Erkenntnis:
«Je mehr man an einem Bild arbeitet, desto unmöglicher wird es, das Gemälde je zu beenden.»
Klar war das im Grunde schon immer so. Und doch habe der technische Fortschritt die Problematik entscheidend verschärft: «Früher beendete man Portraits. Zwangsläufig. Sie waren notwendig. Sie waren Ersatz für eine Fotografie. Heutzutage haben Portraits keinen Sinn.»
Suche nach Sinn, Form, Gestalt
Sein Wissen um die Absurdität, ja Unmöglichkeit des Unterfangens hat Giacometti zum Glück nicht daran gehindert, sich in die Arbeit zu stürzen. Vielleicht, weil er als Freund Sartres alles aus existentialistischer Perspektive betrachtete: Sinn ist nichts, was ohne menschliches Zutun – also quasi als Essenz – existieren würde. Umso essentieller ist es, Sinn zu kreieren.
Genau das schafft der primär als Schauspieler bekannte New Yorker Stanley Tucci mit seiner jüngsten Regiearbeit. «Final Portrait» betreibt keine Denkmalpflege, sondern bietet primär lakonisch-heitere Unterhaltung – wie jedes geglückte Kunstwerk des Existentialismus.
Menschlich unvollkommen
Tuccis fünfter Film lebt geradezu von seiner sympathischen Unvollkommenheit: Der Regisseur weiss um die dramaturgischen Schwächen seiner pointierten Skizze und liefert bei weitem kein vollständiges Bild des Schweizer Jahrhundertkünstlers ab.
Geoffrey Rush spielt Alberto Giacometti als tragischen Helden, der einem trotz verschrobener Egozentrik ans Herz wächst. Dass seine Figur eher an Woody Allen oder die Coen-Brüder erinnert, spricht nicht gegen, sondern für den Film. Schliesslich gibt es nichts Öderes als humorlose Biopics, die sich für wichtig halten.
Das Künstler-Portrait «Rodin», das am 31. August in unseren Kinos startet, ist so ein schwer verdaulicher Brocken.
Nach beschwingten 90 Minuten «Final Portrait» fühlt man sich dagegen federleicht – als ob einen gleich mehrere Musen geküsst hätten.
Kinostart: 24. August 2017