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Neu im Kino «Sweat»: Was macht eine Influencerin, wenn sie offline ist?

Der faszinierende Spielfilm «Sweat» zeigt das Leben einer Fitfluencerin zwischen Selbstvermarktung und Selbstzweifel.

600‘000 Follower. Diese Zahl ist Sylwias Visitenkarte. Ihr Hund hat keinen eigenen Account, aber immerhin einen Hashtag, wie sie einmal sagt. Was sie beruflich macht: sich bei Fitness-Übungen filmen, sich mit Markenprodukten ins Bild setzen, Teile ihres Privatlebens veröffentlichen.

«Hopp! Hopp! Super! Nochmal!»

Der polnische Spielfilm «Sweat» zeigt Sylwia (gespielt von Magdalena Koleśnik) zuerst einmal bei der Arbeit: Eine bewegliche Kamera hält fest, wie sie auf der Showbühne in einer Shopping Mall Dutzenden von Fans in bunten Leggings und Sneakers einheizt. «Hopp! Hopp! Super! Nochmal!»

Frau auf der Bèhne klatscht Hände von Fans ab
Legende: «Sweat» erzählt vom Leben der Fitfluencerin Sylwia – vor und vor allem hinter der Kamera. NATALIA LACZYNSKA / LAVA FILMS

Tags darauf erklärt ihr ihr Manager in einem Tea-Room, dass ein womöglich allzu intimes Video einen Lebensmittel-Sponsor abschrecken könnte. Sie hatte sich darin über Einsamkeit beklagt. Ein erster Hinweis darauf, wie eng das Privat- und das Berufsleben der jungen Frau verknüpft sind.

Real, aber doch digital

Der Spielfilm «Sweat» funktioniert weniger über seinen Plot als über seine Charakterstudie. Der Autor und Regisseur Magnus von Horn erklärt im Interview, warum er sich dazu entschlossen hat, von einer Fitfluencerin zu erzählen: «Solche Phänomene in der Gesellschaft sind neu. Wir wissen noch gar nicht so recht, wie wir darauf reagieren sollen.»

Interessiert haben Magnus von Horn an seiner Figur Sylwia die Gegensätze: «Sie ist gleichzeitig sehr körperlich und digital, sie möchte für alle erhältlich sein, aber das funktioniert eben nur via Smartphone. Zudem lautet eine ihrer Botschaften: Stehe zu Deinem eigenen Körper. Und das, obwohl sie selbst einen fast unerreichbaren Körper hat.»

Quinoa statt Kuchen

Hinter der öffentlichen Präsenz nagen Selbstzweifeln an Sylwia. Am Geburtstagsfest ihrer Mutter scheitert sie daran, dass die Aufmerksamkeit nicht restlos auf sie gerichtet ist. Als Geschenk hat sie einen teuren LED-Fernseher mitgebracht, um ihr neustes Video zu zeigen.

Frau liegt im Bett und schaut aufs Handy
Legende: Im Licht der Öffentlichkeit gibt sie sich souverän, im Stillen zweifelt Sylwia an sich. NATALIA LACZYNSKA / LAVA FILMS

Weil das niemanden beeindruckt, verschmäht sie den üppigen Kuchen und verzieht sich vorübergehend in ihr altes Kinderzimmer. Dort verspeist sie lustlos einen mitgebrachten Mix aus Quinoa und exotischem Gemüse. Zurück am Familientisch bringt sie sich verzweifelt ins Gespräch: Sie werde neuerdings gestalkt.

Der ungewollte Zuschauer

Diesen Stalker gibt es, er parkt stundenlang vor ihrem Wohnhaus. Er greift sich in seinem Auto ans Glied, wenn sie an ihm vorbeiläuft.

Er steht sinnbildlich dafür, dass Sylwia bei aller Autonomie ihres Outputs und bei allem finanziellen Erfolg nicht die Kontrolle darüber hat, wie sie in der Öffentlichkeit ankommt. Der rote Faden des Films wird sein, wie sie mit diesem Stalker umgeht.

Oberflächlich? Irgendwie schon.

«Sweat» ist genialer Film, weil er ungemein viel Empathie erzeugt für eine Figur, die man vorschnell als oberflächlich, selbstfixiert und materialistisch einstufen könnte. Ist Sylwia all das? Irgendwie schon.

 Und trotzdem bleibt man gebannt an ihr dran, an ihrem ganzen Drama, bis zur letzten Einstellung.

Kinostart: 6.5.2021

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 5.5.2021, 17:20 Uhr

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