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Neu im Kino «Tausend Zeilen»: Wie viel Wahres steckt in Bullys Relotius-Film?

Er war der Stern am Journalisten-Himmel. Claas Relotius räumte mit gerade mal 33 Jahren zahlreiche Journalisten-Preise ab. Seine Geschichten waren schon fast zu gut, um wahr zu sein.

Bis 2018 die Bombe platzte: Fast alle seiner Artikel waren in Teilen oder ganz erfunden.

«Spiegel»-Nachrichtenchef Stefan Weigel war an der Aufklärung des Skandals mitbeteiligt. Er erzählt, wie viel Relotius in «Bullys» neuem Film «Tausend Zeilen» steckt.

Stefan Weigel

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Stefan Weigel ist Nachrichtenchef beim deutschen Magazin «Spiegel» und war Teil der Aufklärungs-Kommission im Fall Relotius.

SRF: Herr Weigel, welches Image vermittelt der Film über den «Spiegel»?

Stefan Weigel: Er wird als kalte Medienmarke dargestellt, die Geschichten ohne Rücksicht auf Verluste trimmt.

Dem ist nicht so?

Der Fall Relotius hat gezeigt, dass es Entwicklungen beim «Spiegel» gab, die auch in eine falsche Richtung gelaufen sind.

Junger, dunkelblonder Mann sitzt auf Bank, tippt am Laptop, hinter ihm eine sonnige Promenade.
Legende: Relotius (im Film Lars Bogenius genannt) sitzt in «Tausend Zeilen» an netten Orten und denkt sich Geschichten in Krisengebieten aus. UFA Fiction GmbH/Gesellschaft für Feine Filme mbH /Warner Bros.

Relotius' Täuschungen sind niemandem aufgefallen. Alle Sicherungsmechanismen haben versagt. Das war kein Glanzstück.

Im Film werden die Chefredakteure als eitle Gockel dargestellt, die vom Schein des Star-Journalisten verblendet sind.

Chefredakteure, die nicht eitel sind, muss man ganz schön suchen. Der «Spiegel» war schon immer ein Unternehmen, das reich an eitlen Menschen war.

Relotius wäre der Letzte gewesen, dem man so etwas zugetraut hätte.

Wie konnte es sein, dass die Kolleginnen und Kollegen über so lange Zeit nicht skeptisch wurden?

Relotius war anders. Alle, die ihn kennengelernt haben, sagten, dass er ein bescheidener Typ gewesen sei, nett und hilfsbereit, hat sich in Konferenzen nicht nach vorne gespielt. Er wäre der Letzte gewesen, dem man so etwas zugetraut hätte.

Bis «Spiegel»-Kollege Juan Moreno bei einer gemeinsamen Reportage über eine Bürgerwehr gegen Flüchtlinge an der US-mexikanischen Grenze skeptisch wurde. Die Hauptgeschichte des Films.

Es gibt ein paar Szenen, als Moreno mit seinem Fotografen zu den Leuten in die USA fährt und sie befragt. Die Originalvideos davon, die wir für die Kommission gesichtet haben, sind zum Teil witziger als im Film.

Ein Mann mit längerem, dunklem Haar und einer mit Kappe schauen auf einen Mann am Tisch, hält ein Foto.
Legende: Journalist Romero (Elyas M'Barek) geht auf Spurensuche, um die Lügengeschichten seines Kollegen zu entlarven. UFA Fiction GmbH/ Gesellschaft für Feine Filme mbH / Warner Bros.

Wie sie den Menschen von der US-Bürgerwehr das Foto von Relotius hinhalten und fragen, «hast du den jemals gesehen?», und die sagen «nö, habe ich nicht.» Sie lesen den Leuten vor, was Relotius über sie geschrieben hat und die lachen sich halb tot, weil nichts davon stimmt. Das ist filmreif.

Kurzkritik «1000 Zeilen»

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«Tausend Zeilen» basiert auf dem gleichnamigen Buch von Juan Moreno, der den Hochstapler Relotius im Alleingang entlarvte, weil ihm niemand glaubte. Comedy-Experte Michael «Bully» Herbig macht aus dem Journalismus-Skandal eine unterhaltsame Medien-Satire und treibt Klischees auf die Spitze.

Verpackt als Komödie, nahm Herbig sich die künstlerische Freiheit, auch Namen zu ändern. Aus dem Nachrichtenmagazin «Spiegel» wird «Die Chronik», Claas Relotius heisst Lars Bogenius (Jonas Nay) und aus Juan Moreno wird Juan Romero (Elyas M’Barek). Sonst wäre es ja auch Fake, so der Regisseur.

Der «Spiegel» hat nach der internen «Aufräumarbeit» den Skandal öffentlich gemacht und ihm sogar die Titelseite gewidmet.

Wenn etwas in der Geschichte ein Erfolg für den «Spiegel» war, dann war es die transparente Aufarbeitung. Wir hatten das Glück, dass damals ein neuer Chefredakteur angefangen hat, der vorher nicht beim «Spiegel» war.

Älterer Mann mit Schuhen auf dem Pult, hebt Hand im Gespräch, vor ihm ein Laptop.
Legende: Der Chefredakteur in Michael «Bully» Herbigs Film scheint mehr auf die gute Titelstory als auf die Wahrheit aus. UFA Fiction GmbH/ Gesellschaft für Feine Filme mbH / Warner Bros.

Menschen, die lange in einem Unternehmen gearbeitet haben und an der Spitze stehen, sind häufig selbst mit drin. Da ist es nicht leicht zu sagen, wir arbeiten transparent auf, weil es am Ende immer heissen kann, dass man selbst gehen muss.

Nach dem Fall hat der «Spiegel» unter anderem die Dokumentations-Abteilung vergrössert, die Fakten prüft. Funktionieren die neuen Kontrollmechanismen?

Dieser Fall hat alle erschüttert und dazu geführt, dass die – ohnehin schon guten – Sicherungsmechanismen und die Verantwortung der Redakteure und Dokumentarinnen deutlich ernster genommen werden.

Aber man kann nie ausschliessen, dass sowas nochmals passiert. Wenn jemand so viel kriminelle Energie mitbringt, dass er seine Geschichten komplett erfindet, versagen die besten Sicherungssysteme.

Das ist ein vollkommen irrationales Verhalten, weil man damit nicht ewig durchkommen kann. Das versteht bei Relotius bis heute niemand – und das kann auch der Film nicht klären.

Das Gespräch führte Anne Meinke.

Kinostart: 29.09.2022

SRF 1, 10vor10, 03.10.2022, 21:50 Uhr.

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