Im Zentrum des Films «The Third Murder» stehen der Angeklagte Misumi auf der einen Seite und sein Anwalt Shigemori (Masaharu Fukuyama) auf der anderen.
Misumi (Kōji Yakusho), der – so erfährt man zuerst nur nebenbei – für einen früheren Mord bereits eine 30-jährige Haftstrafe hinter sich hat, hat wieder jemanden umgebracht und die Tat sofort gestanden. Der Getötete war sein Arbeitgeber.
Dennoch soll der Anwalt ihn verteidigen, die drohende Todesstrafe in eine lebenslängliche abmildern. Schon bald aber deckt der Anwalt mit seinen Mitarbeitern mehr und mehr Widersprüche auf.
Mit dem Setting eines modernen Film Noirs steht «The Third Murder» etwas quer im filmischen Werk Kore-edas. Der japanische Regisseur bewegt sich sonst in fast allen seinen Filmen im Mikrokosmos der familiären Strukturen, der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Er erzählt von Verlust von Familienmitgliedern, von Wiederfinden, von Einsamkeit und häuslicher Geborgenheit.
Warum jetzt ein Film Noir?
Warum nun nach all den Familiengeschichten dieser Film in neuem Ton, warum jetzt ein Film Noir? Er habe mal eine Pause von diesen Familienfilmen machen wollen und seinen Blick erweitern auf die breitere, aktuelle Gesellschaft und ihre Probleme, erzählt Hirokazu Kore-eda im Gespräch. Und da stiess er auf das Thema «Urteilen» und «Richten» – es interessierte ihn, wie Menschen über andere Menschen urteilen, besonders in einem Strafgericht.
Auch wenn «The Third Murder» für einmal keine Familiengeschichte ist, so ist auch dieser Film durchdrungen von Menschlichkeit und Mitgefühl.
Das ist etwas, was in jedem Film Hirokazu Kore-edas zentral ist, was seine Filme immer wieder unter Kitschverdacht bringt, wenn er einmal mehr mit grossen Gefühlen meisterhaft Figuren und Publikum manipuliert. Nur, um dann doch immer im letzten Moment die Balance zu halten, verblüffende Wendungen zu präsentieren.
Woher kommt dieser Wille, dieser Drang, in jedem Film Zwischenmenschlichkeit, Menschlichkeit zum Thema zu machen?
Darüber habe er noch gar nicht nachgedacht, über diesen Wert der Menschlichkeit, sagt Regisseur Kore-eda – aber in diesem Film habe er, als er mit dem Schreiben begann, über die Haltung «Vorzugeben, etwas nicht zu sehen» nachgedacht.
Der Moment, in dem jemand wegschaut
Also über den Moment, in dem jemand entscheide wegzuschauen, nicht auf etwas zu fokussieren. Was ihn daran interessiere: das willentliche Wegschauen. Das könne in einem Gerichtssaal eben nicht verurteilt werden. «Das gilt nicht nur in Japan, sondern überall auf der Welt. Das ist wahrscheinlich tatsächlich etwas, das aus mir selber kam, als ich angefangen habe, die Geschichte zu schreiben» erzählt der Regisseur.
Ob im Familienfilm oder im Gerichtsdrama: Hirokazu Kore-edas Figuren sind glaubhaft, menschlich, nah, ihre Reaktionen, ihre Mimik auch für uns westliche Zuschauerinnen und Zuschauer nachzuvollziehen.
Kore-edas Figuren sind glaubhaft und menschlich
Hirokazu Kore-edas Figuren und Geschichten gehen nah, wirken nach. So ist es mit seinen Familiengeschichten und so ist es auch mit diesem Film «The Third Murder», mit «Shoplifters», der soeben in Cannes die goldene Palme gewann.
So wird es wohl auch mit dem nächsten Film sein, der schon in Produktion ist und der mit den französischen Stars Juliette Binoche und Catherine Deneuve gedreht wird.