Anna und Nick fahren im Cabrio auf einer Bergstrasse. Sie spielen das Spiel, in dem der eine das Alphabet durchbuchstabiert, die andere «Stopp» sagt und dann beide jeweils ein Tier mit dem entsprechenden Anfangsbuchstaben sagen müssen.
Anna hat ‹T› gesagt und zählt im Wechsel mit ihrem Mann Nick Tiere auf: Teppichkäfer, Tapir, Tarantel sind schon dran gewesen. Tier zählt nicht, weil es zu allgemein ist.
Schliesslich schreit Anna «Schaf!» Darauf Nick: «Das zählt doch nicht.» Dann ist es zu spät. Das Auto donnert frontal in ein Schaf. Schaf tot, Anna leicht verletzt, Nick unverletzt.
Seltsame Dinge tragen sich zu
Der Vorfall ändert Annas Leben und erklärt den Filmtitel. In «Tiere» macht sich dieses Paar auf, ein halbes Jahr in einer Schweizer Alphütte zu verbringen. Nick ist Koch und auf der Suche nach regionalen Rezepten. Anna will ein Buch schreiben. Die Wohnung in Wien haben sie der etwas schrägen Mediävistin Andrea untervermietet.
Bald schon passieren seltsame Dinge – in der Schweiz und auch in Wien. Zuerst hat Anna Gedächtnislücken; nach dem Tag des Ankommens erwacht sie vermeintlich am nächsten Tag – und muss von ihrem Mann hören, dass doch schon zwölf Tage vergangen seien.
In Wien passieren auch Andrea komische Dinge. Nachdem sie auf den Hinterkopf gefallen ist, steht ein verwirrter Mann vor ihrer Tür und behauptet, sie sei seine Ex-Freundin aus der Wohnung im oberen Stock.
Verdreht und verschachtelt
Was eine simple Beziehungskiste über Liebe und Untreue hätte sein können, wird hier verdreht und verschachtelt bis der Zuschauer sich von den Zeitebenen herrlich hintergangen fühlt. Ratlosigkeit ist dadurch nicht nur in Annas Gesicht geschrieben, als sie plötzlich draussen steht und sich gleichzeitig drinnen mit ihrem Mann sprechen sieht.
Der in der Schweiz aufgewachsene, polnische Filmemacher Greg Zglinski erzählt dieses Verwirrspiel sehr komisch, mit schwarzem Humor, aber auch mit klassischen Suspense- und Horrorelementen. Da ist etwa ein Zimmer, das nicht betreten werden kann, in der Wiener Wohnung wie auch im Schweizer Ferienhaus.
Zwischen David Lynch und M.C. Escher
«Tiere» erinnert zuweilen an Hitchcocks «Vertigo» oder an David Lynchs Filme «Lost Highway» und «Mulholland Drive». Das Möbiusband und das Bild von M. C. Escher mit der Treppe, die nach oben führt und nie endet, haben Pate gestanden für das Drehbuch.
Verfasst hat es der 2007 verstorbene Jörg Kalt. Greg Zglinski hatte es damals in der Kommission der Zürcher Filmstiftung gelesen und nie mehr vergessen. Nun hat er es übernommen, etwas umgeschrieben und verfilmt.
Darin spielt Birgit Minichmayr Anna, Philipp Hochmair ihren Mann Nick – und Mona Petri ist gleich in drei Rollen zu sehen, vor allem als Untermieterin Anna.
Die sprechende Katze
Im cineastischen Labyrinth wird die Zuschauerin gepackt, will miträtseln, verstehen, wie das alles verstrickt ist. Und muss dabei auch immer wieder lachen – etwa ob der Katze mit den zu grossen Ohren, die plötzlich auftaucht und mit Anna spricht.
Bis jetzt hat Greg Zglinski Schweizer Filme gedreht. 2005 hat er für «Tout un hiver sans feu » den Schweizer Filmpreis gewonnen, 2015 hat er für das Westschweizer Fernsehen den Uhrmacher-Historienfilm «Le Temps d’Anna» gemacht.
Er erzähle gerne Geschichten, die universell zu verstehen seien, sagt Zglinski im Interview. So richtig verstanden hat man «Tiere» am Ende zwar nicht, dazu ist die Handlung zu verdreht und zu schwierig aufzulösen. Aber das ist gewollt – und es macht den Reiz dieses herausfordernden Genrefilms aus.
Filmstart: 5.10.2017
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 5.10.2016, 9:03 Uhr