Als der US-amerikanische Autor Richard Ford im Jahr 1990 seinen Roman «Wildlife» veröffentlichte, waren die Reaktionen durchzogen: Die Geschichte wird aus der Perspektive eines 16-jährigen Jungen erzählt, der mitbekommt, wie die Ehe seiner Eltern bröckelt. Zu altklug wirke der Junge, lautete die Kritik.
In Paul Danos Verfilmung dieses Stoffes erwartet uns kein Erzähler. Joe, der Sohn, ist hier 14 Jahre alt und wird von Ed Oxenbould verkörpert. Joe ist ein unauffälliges Einzelkind, das mit seiner Familie frisch nach Montana umgezogen ist und nach Orientierung sucht.
Die Geschichte spielt zwar in der wirtschaftlichen Blütezeit der 1960er-Jahren. Trotzdem belasten Geldsorgen das Familienleben.
Als Vater Jerry (Jake Gyllenhaal) seinen Job als Golf-Coach verliert, macht sich Mutter Jeannette (Carey Mulligan) auf Jobsuche. Sie wird Schwimmlehrerin.
Jerry hingegen packt seine Sachen und lässt sich für einen Dollar pro Stunde als Feuerwehrmann gegen die schwelenden Waldbrände im nahegelegenen Gebirge anheuern.
Übung in Understatement
Aus diesem Stoff hätte man ein bildgewaltiges, dramatische Epos machen können: Ein verbitterter Vater kämpft todesmutig für ein Butterbrot gegen eine Naturkatastrophe an. Eine Mutter beginnt wegen Unterhaltssorgen eine Affäre. Ein pubertierender Sohn findet durch dieses Dickicht ins Erwachsenenleben hinein – alles eingebettet in die eindrücklichen Landschaften einer klassischen Western-Kulisse: dem US-Bundesstaat Montana.
Doch Paul Dano widersteht der Versuchung zur dramatischen Überhöhung: «Wildlife» ist kein Film der Emphase, sondern ein Film des Understatements.
Die Einstellungen sind oft statisch und sorgfältig geplant. Die Bilder sind in einer blassen, warmen Farbpalette gehalten und meist liebevoll mit natürlichem Licht versorgt. Die Flammen am Horizont – man sieht sie kaum, nur in der Mitte des Films.
Americana vom Feinsten
Selbst wenn die Familienmitglieder emotionale Ausbrüche haben, bleibt die Bildsprache unaufgeregt und überträgt die Gefühle nicht durch dramatische Effekte, sondern durch das intensive, minutiöse Spiel der Darsteller und die Anordnung der Figuren in der visuellen Komposition.
Auf der ästhetischen Ebene ist «Wildlife» ein formschönes Stück Americana: Der Einfluss etwa des legendären US-Fotografen Stephen Shore auf die Kameraarbeit ist unübersehbar.
Aber nie wirkt dieses ausgeklügelte Vorgehen gekünstelt: Es unterstreicht vielmehr sorgsam und wirkungsvoll die Gefühlswelt eines Teenagers, der sich selbst erdet, während seine Eltern auseinandergetrieben werden.
Kinostart: 11.04.2018