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Neu im Kino Visuell umwerfend: das Science-Fiction-Drama «Grain»

Von gentechnisch veränderten Pflanzen zur grossen Misere: Im Film «Grain» scheitert die grüne Technologie.

Eine Umweltkatastrophe hat die Erde verwüstet. Die Apokalypse sorgt für atemberaubende Bilder: Ein langer Zug von Überlebenden bewegt sich durch das Ödland auf einen Checkpoint zu. Hier bewachen bewaffnete Soldaten den Zugang zu einer Grossstadt. Bedrohlich knistert ein Zaun, der Unbefugte fernhalten soll. Trotz aller Warnungen läuft einer der Flüchtlinge los – und verglüht.

Der Genetiker soll es richten

Mit diesem mörderischen Mechanismus schützen sich die Stadtbewohner vor den Habenichtsen, dabei lauert die Gefahr ganz woanders. Eine Genmutation führt zu Ernteausfällen. Der Biologe Erin soll herausfinden, woran das liegt.

Sein Arbeitgeber, ein mächtiges Biotech-Unternehmen, setzt ihn deshalb auf einen Genetiker namens Akman an: Dieser soll eine Lösung gefunden haben. Leider hat der Genetiker sich in das feindselige Land vor der Stadt abgesetzt.

Eine Frau steht im Vordergrund und schaut durch ein Fernrohr. Im Hintergrund stehen zwei Männer.
Legende: Ein nahezu unbewohnbarer Planet: Die verbliebenen Leute in «Grain» leben in zerstörten Städten oder auf dem kargen Land. trigon-film

In der ersten halben Stunde wirkt «Grain – Getreide» mit seiner unterkühlten Atmosphäre und den epischen Stadtansichten wie ein halbdokumentarisches Echo auf den Endzeit-Thriller «Blade Runner». Als Kulisse dient die heruntergekommene US-Industriemetropole Detroit.

Parabel aus dem Koran

Erin heftet sich an die Fersen Akmans und verfolgt ihn bis in die verbotene Zone, wo er den Genetiker stellt. Erin bittet Akman, sich ihm anschliessen zu dürfen. Das sei nicht möglich, erwidert Akman, der sich auf seinem Weg durch die Wildnis von der Wissenschaft verabschiedet hat und auf einer Art Pilgerreise ist.

Erin folgt ihm dennoch. Dabei legt er Schritt für Schritt sein rationales Weltbild ab, um der wahren Ursache für die Misere auf den Grund zu gehen. Zwischen den Männern entwickelt sich ein Meister-Schüler-Verhältnis, das Regisseur Semih Kaplanoglu an eine Parabel aus dem Koran anlehnt.

Verlust der eigenen Seele

Viel offensichtlicher für das westliche Publikum sind die Parallelen zu einem weiteren Film, den der Regisseur zitiert: Die albtraumhaft schönen Einöden, die Kapanoglu in seiner Heimat Türkei gefilmt hat, werden zu Seelenlandschaften, wie sie auch der Russe Andrei Tarkowski in seinem mystischen Sciene-Fiction-Film «Stalker» (1979) inszeniert hat.

Zwei Männer liegen gekrümmt in einem Loch in der Erde.
Legende: Abrupter Klimawandel, radikaler Lebenswandel: In «Grain» verlieren die Leute den Glauben an genmanipuliertes Getreide. trigon-film

Für den spirituellen Sinnsucher Akman liegt der Kern allen Übels darin, dass der Mensch versucht, die Welt zu beherrschen und so seine eigene Seele beschädigt.

Visuell umwerfend

«Grain» ist ein eigentümlicher Film. Er bewegt sich langsam, braucht viele Worte und lässt dann doch vieles unausgesprochen. Das erfordert Geduld. Es unterscheidet den Film aber auch angenehm vom dystopischen US-Blockbuster-Kino, in dem gestählte Superhelden die Welt retten.

In «Grain» dagegen ruht die ganze Hoffnung auf einer kleinen Ameise: Das Grösste ist im Kleinsten enthalten, Hilfe kommt oft von unerwarteter Seite. Visuell ist der Film schlicht umwerfend. Die Schwarzweiss-Aufnahmen sind von einer Reinheit, wie sie der Regisseur wohl auch ausserhalb des Kinos zu finden hofft.

Kinostart: 3. Mai 2018

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.5.2018, 17.10 Uhr

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