Sie hat zweifellos bessere Tage gesehen: In den Fünfzigern war Gloria Grahame ein Hollywood-Star an der Seite von James Stewart und Humphrey Bogart, eine Ikone des Film-Noir. 1953 gewann sie sogar einen Oscar.
Aber diese Zeit ist vorbei. Wir schreiben jetzt die späten Siebziger: Gloria Grahame sitzt allein in einer schmucklosen Künstler-Absteige auf dem Londer Primrose Hill und wartet auf ihren abendlichen Bühnenauftritt.
Ein ungewöhnliches Liebespaar
Ihr Zimmernachbar ist der junge Schauspieler Peter Turner aus Liverpool. Für ihn geht es aufwärts: Die Londoner Theaterwelt öffnet ihm die Hauptpforte, während die Ex-Diva Grahame sich eher in einem Notausgang wähnt. Zumal sie gesundheitlich angeschlagen ist.
Dennoch werden die beiden zu einem atypischen Liebespaar, das etliche Tiefpunkte überdauern muss: Bittere Identitätskrisen, nicht abreissende Kritik an der Beziehung, Glorias Krankenzimmer in Peters Elternhaus in Liverpool.
Gloria ist nicht Marilyn
Der Pitch von «Film Stars Don’t Die in Liverpool» verspricht melodramatische Romantik. Dieses Versprechen hält der Film. Er basiert derweil auf einer wahren Geschichte.
Das macht in diesem Fall hellhörig. Der Ansatz erinnert verdächtig an den Spielfilm «My Weekend with Marilyn» von 2011: Eine reichlich kitschige Verfilmung der Memoiren eines Produktionsassistenten, der im Verlauf von schwierigen Dreharbeiten in die Nähe von Marilyn Monroe gekommen war und diese Begegnung – samt unbestätigter Liebesbeziehung – nach Monroes Tod publizistisch ausschlachtete.
Klare Regeln, eiserner Durchhaltewillen
Was macht «Film Stars Don’t Die in Liverpool» nun anders und besser? Zuerst einmal ist mit Paul McGuigan ein Regisseur am Werk, der cineastisch klare Regeln aufstellt und sich deutlich vom Fernsehfilm-Format abhebt.
Und da ist vor allem die wesentlich stabilere Protagonistin: Grahame ist nicht Monroe. Grahame hat zwar Allüren, aber sie ist eine mit allen Wassern gewaschene Frau. Sie reagiert auf berufliche und persönliche Rückschläge nicht mit Panik, sondern mit eisernem Durchhaltewillen.
Hier haben wir ein post mortem geschriebenes Porträt, von dem ehrlicher Respekt ausgeht: Man mag diese Frau sofort, man versteht sie, man blickt zu ihr auf.
Beide Darsteller in Hochform
Ein weiteres Plus ist die ausserordentlich geglückte Besetzung: Jamie Bell («Billy Elliott») verkörpert mit Schmiss und Elan den aufstrebenden Darsteller, dessen Bewunderung für die Veteranin langsam in Liebe umschlägt und schliesslich in den Willen, um jeden Preis an ihrer Seite zu bleiben. Diese Entwicklung bleibt glaubwürdig, obwohl sie mit Zeitsprüngen erzählt wird.
Der wahre Trumpf des Films ist derweil – völlig erwartungsgemäss – Annette Benning in der Hauptrolle. Wer sich an den amüsanten Neo-Noir-Thriller «The Grifters» (1990) von Stephen Frears erinnern mag, hat es vielleicht noch im Hinterkopf: Benning hatte bereits damals die leicht exaltierte Spielweise von Gloria Grahame parodiert.
Diesmal übernimmt sie allerdings auf eine ungleich subtilere Weise die Tonart der Darstellerin. Sie trifft nicht nur deren Ton, sondern auch deren Tiefe. Benning ist witzig, aber sie karikiert nicht: Einer von vielen Gründen, sich diesen anrührenden Film anzusehen.
Kinostart: 5.4.2018