Zu Beginn des Films ist das us-amerikanische Liebespaar Beckett (John David Washington) und April (Alicia Vikander) in den griechischen Bergen unterwegs. Sie necken sich, sie ziehen sich auf, sie lieben sich.
Dann folgt eine jener nächtlichen Autofahrten auf kurviger Bergstrasse, während der mit dem Telefon hantiert wird, gefrotzelt, verliebt geknufft – und die Frage ist ganz klar nicht, ob es einen Unfall geben wird, sondern bloss noch wann. Es dauert. Aber es kommt, wie es muss.
Gehetzt unterwegs
Und schon ist John David Washington wieder gehetzt unterwegs, ohne zu wissen wie ihm geschieht, wie in «Tenet».
Denn nun beginnt ein gut gemachter, fast klassischer Genre-Thriller, eine «The Wrong Man»-Geschichte in der Tradition von Hitchcocks «North by Northwest» oder «The Fugitive».
Er weiss nicht vor wem, und auch nicht warum, aber Beckett ist jetzt auf der Flucht. Am Ort des Autounfalls schiesst eine blonde Frau mit einer Pistole auf ihn. Später kommt der Polizist dazu, der Beckett auf der Station zuvor freundlich vernommen hatte. Der schiesst auch auf ihn.
Für eine ganze Weile bleibt das wohltuend mysteriöses Genrekino, Beckett entkommt seinen Verfolgern immer um Haaresbreite, zu Fuss, im Zug, im Kofferraum. Er wird angeschossen, angestochen, angeschnitten und angebrochen. Aber er gibt nicht auf.
Dann verdichtet sich allerdings eine Hintergrundgeschichte um die Entführung eines Politikersohnes, um die griechische Opposition und die ultranationalistische Goldene Morgenröte, und wir haben wieder einmal einen ahnungslosen US-Bürger, der im Chaos eines fremden Landes um sein Leben rennt, ohne zu wissen, wie ihm geschieht.
Vorbild Hitchcock
Das alles passt in die neue internationale Welt von Netflix. Die Stars sind zugkräftige Namen aus Hollywood. Regisseur Ferdinando Cito Filomarino hat sein Handwerk an der Uni Bologna gelernt, seine ersten Preise am Filmfestival von Locarno gewonnen (wo der Film letzte Woche als Eröffnungsspektakel zu sehen war) und der Produzent dieses ersten englischsprachigen Films von Filomarino ist der neue Supermann des internationalen italienischen Kinos, Luca Guadagnino («Call Me by Your Name», «Suspiria») .
Vorbilder hat der Film etliche, neben Hitchcock oder «The Fugitive» für die Genre-Tradition etwa auch die Filme der zornigen jungen Griechen der letzten fünfzehn Jahre, für das doch recht eigenwillige, politisch aufgeladene europäische Setting.
Die Netflix-Ironie
Das passt zur Netflix-Strategie, lokalisierte Produktionen für ein internationales Publikum aufzubereiten. Ob die Action nun in Israel angesiedelt ist, wie in «Fauda», in Deutschland, wie bei den «Biohackers» oder eben in Griechenland vor der durchaus realen Euro-Krise: Die Welt kommt auf den Streaming-Screen in appetitlichen Portionen.
Die Netflix-Ironie, wenn man so will, zeigt sich dann halt am Ende von «Beckett» wieder, wenn der US-Amerikaner seine persönliche Schuld mit heroischem Einsatz getilgt hat und zum Held der Stunde avanciert. Aber die Abblende kommt zum Glück vorher.
«Beckett» ist eine spannende Genre-Variation und wer geneigt ist, gewisse Klischees ironisch zu verstehen, holt aus seinem Netflix-Abend durchaus etwas heraus.
«Beckett» läuft ab heute bei Netflix.