Amazon Prime Video wagt sich an eine Neuauflage von «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo»: 1978 erschien das Buch, das Christiane F. mit Hilfe von zwei Journalisten geschrieben hatte. Es erzählt ihre tragische Geschichte von einem Fixertreff in Westberlin.
Geschichte wird zu Kultfilm
1981 erschien die Verfilmung von Uli Edel. Der englische Rockstar David Bowie half mit einem Soundtrack und einem Konzertauftritt mit, dass dieser bald das Prädikat «Kultfilm» trug.
In Schulen wurde er zum Aufklärungsklassiker: Generationen von Schülerinnen und Schülern hat er aufgeklärt, ihnen eingeimpft, dass das Injizieren von Heroin die Hölle bedeutet. Der Film prägt seit den frühen 1980er-Jahren, wie sich unsere Gesellschaft das Fixen vorstellt.
Wieso jetzt?
Das ist lange her. Heute ist Heroin aus dem öffentlichen Diskurs fast verschwunden, niemand redet mehr über die Junkies, die einem an den Bahnhöfen um ein paar Franken anbetteln.
Die Jugend umtreibt andere Dinge, und auch andere Drogen, und darum muss man fragen: Wen interessiert eine Aktualisierung dieser 40 Jahre alten Vorlage?
Neben den Zuschauern, die mit «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» aufgewachsen sind, hat Amazon Prime ein junges, urbanes, hippes Zielpublikum im Visier. Sie wollen es mit jungen, urbanen, hippen Schauspielerinnen und Schauspielern erreichen.
Dass sich viele Jugendliche nach einem Jahr Corona-Entbehrung umso mehr nach den ungezügelten Partys sehnen, wie sie in «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» gefeiert werden, passt sicher gut in die Marketing-Strategie.
«Dear Kids», so scheint die Serie zu sagen, «es gab einmal eine Zeit, da nahmen viele Jugendliche Heroin. Und in die Disco sind sie damals auch.»
Unbefriedigender Stilbruch
Dafür haben Regisseur Philipp Kadelbach und Produzentin Annette Hess einen Tanztempel gebaut, dessen Lichtlettern stiltreu die 80er-Jahre abbilden, während innen eine Lichtshow läuft, die man in einem Bling-Bling-Schuppen unserer globalisierten Gegenwart erwarten könnte.
Es ist nämlich so: Das Serien-Remake wirbelt Stile, Epochen und Sounds durcheinander. Das lässt eine Art Zeitlosigkeit entstehen: Man hört zeitgenössischen, elektronischen Pop, aber auch Rap aus den Neunzigern. Es laufen David Bowie-Klassiker und auch Coverversionen von David Bowie-Klassikern.
Wollten die Macher zu viel?
«Wir Kinder vom Zoo» hat sich visuell viel vorgenommen: Da sind die Traumsequenzen, die Christiane F. im Fahrstuhl ins Parterre abstürzen lassen, da ist der Höhenflug im Luxusjet, wo sie David Bowie anflirtet.
Fast alles in diesem Remake kommt knallig daher. Zu knallig, zu überladen. Es ist das grosse Manko dieser Serie: das Zuviel. Und die Szenen der Enthemmung, der Verzweiflung, der dysfunktionalen Familien wären einfach viel wirkungsvoller, wenn nicht ständig ein Bass dazu dramatisch waberte.
Die gute Nachricht: Die Serie ist süffig geschrieben und hervorragend besetzt. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler sind denn auch der Grund, weswegen man doch bis zum Schluss dranbleiben will.