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Neuer CERN-Dokumentarfilm «Man sucht keine neuen Genies mehr»

CERN das ist die Europäische Organisation für Kernforschung. In Genf wird seit 1954 physikalische Grundlagenforschung betrieben.

Internationale Aufmerksamkeit erreichte das CERN 2012 mit der Entdeckung des Higgs-Teilchen, ein bis dahin unbekanntes Elementarteilchen.

Anna de Manincor

Regisseurin

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Anna de Manincor ist in der norditalienischen Stadt Trento geboren. Seit 1997 arbeitet sie als Filmemacherin und hat diverse Dokumentarfilme, Videoinstallationen und öffentliche Kunstprojekte realisiert.

2000 gründete die 45-Jährige zusammen mit Massimo Carozzi and Anna Rispolidas das Kunstkollektiv Zimmerfrei.

SRF: Sie haben den Dokumentarfilm «Almost Nothing» gedreht. Warum interessierte Sie das CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) und der Teilchenbeschleuniger?

Anna de Manincor: Wir wollten einen Dokumentarfilm über eine Gemeinschaft drehen, nicht aus einer wissenschaftlichen Perspektive, sondern aus der Sicht der Zusammenarbeit.

Eine Kollaboration von tausenden Menschen, die zusammen, über viele Jahre, nach einem Ding suchen.

Gebäude am CERN.
Legende: In diesem Globus werden Veranstaltungen und Ausstellungen fürs Publikum präsentiert. ZimmerFrei

Grosse Gemeinschaften gibt es auch bei Google oder anderen Unternehmen. Was hat sie am CERN fasziniert?

Die Faszination fürs CERN liegt einerseits darin, dass es eine autonome Stadt ist und andererseits, dass sich alle Leute, die dort arbeiten, auf ein Thema konzentrieren: die Techniker, die Wissenschaftler, sogar die Leute im Büro beteiligen sich an diesem Riesenprojekt.

Es ist wie eine grosse Mission, das hat mich sehr fasziniert.

Die Experimente am CERN sind für das menschliche Auge nicht sichtbar. Warum wollten Sie darüber einen Film machen?

Am Anfang wusste ich nicht, dass man die Forschung, die sie machen, nicht sehen kann.

Ich habe Menschenmassen erwartet, aber das ist nicht der Fall.

Es gibt grafische Darstellungen, aber wir wollten diese Illustrationen nicht für den Film verwenden, weil es nur Abbildungen sind, von dem was eigentlich passiert und weil diese Bilder immer gezeigt werden, wenn man über Teilchenphysik spricht.

Was hat Sie überrascht, als Sie am CERN gedreht haben?

Wir wollten ein kollektives Porträt von Menschen machen, die wie eine grosse Truppe zusammenarbeiten. Ich habe Menschenmassen erwartet, aber das war nicht der Fall.

Die Forscher arbeiten in Gruppen, verteilt, in verschiedenen Gebäuden, nicht in der CERN-Zitadelle. In der Cafeteria, da sieht man die Massen.

Zwei Männer diskutieren am Tisch.
Legende: In der Cafeteria werden viele wissenschaftliche Probleme gelöst. ZimmerFrei

Ich wollte diese Leute treffen und verstehen, wie sie in dieser angespannten Umgebung zusammenarbeiten. Die Wissenschaftler haben nicht viel Zeit für ihre Forschungen.

Im CERN zu arbeiten, ist wie die Olympischen Spiele für Physik. Es gibt eine starke Konkurrenz, aber wenn man vor Ort ist, sind alle sehr entspannt. Ich habe mich gefragt, wie das möglich ist.

Und wie ist es möglich?

Sie haben eine ausgefeilte Strategie, um Probleme zu lösen. Sie wissen, dass sie eine Menge Leute brauchen, um weiter zu kommen.

Ich war so überrascht, eine Gruppe von Leuten zu finden, die wirklich glücklich ist, an so einem Ort und auf diese Weise zu arbeiten.

Die Mentalität hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert. Sie suchen kein neues Genie mehr. Sie brauchen eine starke Gruppe, ein kollektives Gehirn.

Wenn es ein Problem gibt, versuchen sie nicht den Schuldigen zu finden. Sie zerlegen das Problem und entwickeln verschiedene Lösungen mit unterschiedlichen Blickwinkeln.

Wie war es mit den Forschern über ihre Arbeit am CERN zu sprechen?

Ich hatte den Eindruck, dass die sehr loyal sind und kein negatives Wort übers CERN verlieren. Da habe ich mich gefragt: wie ist das möglich? Vielleicht ist es nicht erlaubt? Aber das stimmt nicht. (lacht)

Ich war so überrascht, eine Gruppe von Menschen zu finden, die wirklich glücklich ist, an so einem Ort und auf diese Weise zu arbeiten. Ich suche nicht nach Konflikten oder Spannungen, aber wenn sie nicht da sind, überrascht mich das.

Für mich war es am schwierigsten, persönlich zu werden, über Gefühle und nicht nur über Fakten zu sprechen.

forscher arbeiten am Laptop.
Legende: Die Forscher arbeiten in kleinen Gruppen, aber alle für das selbe Ziel. ZimmerFrei

CERN ist wie ein kleiner Ort, es gibt sogar ein Kino. Verlassen die Wissenschaftler jemals ihre Forscher-Stadt?

Ja, manchmal schon. Sie haben viele Clubs. Die Wissenschaftler gehen segeln oder machen Kampfkunst. Es gibt auch einen Filmclub. Die Physiker gehen nach Hause und kommen abends zurück, um einen Film zu sehen.

Zwei Frauem sitzen auf einem Segelboot.
Legende: Das CERN hat sogar einen Segelclub. ZimmerFrei

Sie haben auch Freizeit. Denn fürs CERN ist es wichtig, dass sie die beste Leistung bringen. Also verbringen sie nur 70% Ihrer Zeit mit der Forschung. Die anderen 30% bleiben Sie im Büro, aber sie können tun, was sie wollen.

Diese kreative Zeit brauchen die Forscher, um neue Ideen zu entwickeln. Eine Frage ist: Wo findet man Inspiration? Wie können Sie ein Problem lösen? Es ist eine wichtige Aufgabe nach den unbekannten Unbekannten zu suchen.

Das Gespräch führte Cynthia Ringgenberg.

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