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Oscar-Verleihung 2021 Warum die Krise den Oscars gut tut

Weniger Glamour, weniger Machtgerangel, weniger Elite. In eine neue Rolle muss die Veranstaltung aber noch hineinfinden.

Zur Show selbst: Sie hat nicht überzeugt. Sie war wie immer zu lang und hatte keinen roten Faden. Es fehlte eine starke Persönlichkeit, die durch den Abend führte.

Viele Menschen betraten und verliessen das Rampenlicht in Minutenlänge, nur wenige hinterliessen einen starken Eindruck. Aber das alles war schon vor der Pandemie so.

Schwamm über die Zeremonie: Sie wird nicht in Erinnerung bleiben. Pandemiebedingt waren nur die Nominierten und ihr engster Kreis im Raum – was eher geholfen hat als geschadet.

Die Oscars 2021 gehörten nicht mehr der Hollywood-Elite, weil diese Elite ohnehin bröckelt. Stattdessen, wie es immer gefordert wurde: Alle Hautfarben – und bei allen gewahrten Verhältnissen: mehr Demokratie.

Der Favorit räumt ab

Mit «Nomadland» hat derjenige Film gewonnen, auf den alle gewettet hatten. Ein Spielfilm über US-Underdogs mit dokumentarischem Touch, der durch Arizona, Nebraska, Nevada und South Dakota führt – das ist «Americana» aus der Sicht einer gebürtigen Chinesin. Zudem mit einer charismatischen Hauptdarstellerin, deren Talent über jeden Zweifel erhaben ist. Bei «Nomadland» haben alle Faktoren gestimmt.

Drei Frauen und ein Mann halten Oscar-Preis
Legende: Der Roadmovie «Nomadland» ist der grosse Gewinner der Oscar-Verleihung. Getty Images North America

Hinzu kommt: «Nomadland» steckt noch mitten in der kommerziellen Auswertung: In der Schweiz soll er im Mai in die Kinos kommen.

Political Correctness als Überlebensstrategie

Die Oscars 2021 haben zahlreiche Statements gesetzt für Inklusion, Diversität und Internationalität. Das hat allerdings nicht nur mit Political Correctness zu tun, sondern mit einer Überlebensstrategie: Die Oscars müssen über den Tellerrand blicken, wenn sie relevant bleiben wollen.

Hollywood, umgangssprachlich auch Tinseltown genannt, hat in der Filmwelt keine Deutungshoheit mehr. Die Academy Awards müssen das irgendwie abbilden.

Neue Bescheidenheit und hohe Qualität

Die Ausgangslage war verworrener als je zuvor: Geschlossene Kinos, fehlende Blockbuster, Netflix und Amazon als neue marktführende Kräfte. Eine fragmentierte audiovisuelle Landschaft, in dem sich das Format des «abendfüllende Films» immer mehr zwischen Serien, Kochshows und Tierdokus verlor, weil ihm die Leinwand fehlte. Von der geschäftsschädigenden Piraterie im digitalen Raum ganz zu schweigen.

Dieser schon fast bedrohliche Kontext verhilft den Oscars nun aber zu einer neuen Bescheidenheit: Früher musste man in Los Angeles zahllose Klinken putzen, wenn man dabei sein wollte. Heute muss man die richtigen Produktionsverhältnisse eingegangen sein, und mehr denn je muss man cineastisch überzeugen. Die Qualität der heuer prämierten Filme spricht für sich.

Verpatzter Schlussakkord

Der Schluss des Abends war peinlich. Die Dramaturgie war auf die Prognose ausgerichtet, dass der viel zu früh verstorbene Chadwick Boseman posthum einen Oscar bekommt – es hätte ein emotionaler Schlusspunkt
werden sollen. Bester Schauspieler wurde aber stattdessen: Anthony Hopkins – lebend, genial, aber leider abwesend.


Der vermasselte Ausgang war nicht frei von Ironie – nach stundenlang zelebrierter Diversität ging die Schlussehrung an einen alten, weissen Mann. Die Regie war darauf anscheinend nicht vorbereitet und brachte die Show zu einem abrupten Ende – eine Schaltung zu Hopkins lag nicht mehr drin.  Dieser holprige Ausstieg bewies immerhin: An den Oscars kann nach wie vor alles passieren.

10vor10, 26.4.2021, 21:50 Uhr

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