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Schweizer Filmpreis 2021 Filmemacher: «Leben ohne Kino? Das wäre ein Horrorszenario»

Kein Quark, es gibt wieder Quartz. Morgen Freitag werden die Schweizer Filmpreise verteilt – Corona-konform im Rahmen einer Gala ohne Publikum.

Wie kommt ein junger Schweizer Filmregisseur durch diese Unzeiten? Der zweifache Quartz-Gewinner Simon Jaquemet über Filmförderung in Zeiten des Streamings, Kino nach Corona und vermeintliche Flops.

Simon Jaquemet

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Der Schweizer Simon Jaquemet gehört zu den aufregendsten Schweizer Filmemachern. Sein Erstling «Chrieg» war 2015 für fünf Schweizer Filmpreise nomoniert, «Die Unschuldige» für vier. Für beide Filme gab's dann je einen Quartz, für «Chrieg» zudem den renommierten Max-Ophüls-Preis. Simon Jaquemet lebt in Zürich und ist Teil des Filmkollektivs 8horses.

SRF: Die Schweizer Filmwelt feiert – trotz Corona. Auch in Champagnerlaune?

Simon Jaquemet: Ich kann mich nicht beklagen. Wenn alles nach Plan läuft, beginnen wir im Herbst mit den Dreharbeiten zu meinem neuen Spielfilm «Electric Child».

Gute Nachrichten in schlechten Zeiten.

(lacht) Wir haben letztes Jahr trotz Lockdown brav unsere Eingaben geschrieben. Es war ein Riesenmurks. Aber wir haben alle Schweizer Fördergelder bekommen, die wir beantragten.

Einverstanden, dass das Kino nach dieser Krise nicht mehr sein wird, was es vorher schon nicht mehr war?

Schwer zu sagen, wohin uns das führt. Ich fände es schlimm, wenn sich das Kino nicht mehr erholen würde. Nie wieder Filme auf der grossen Leinwand: Das wäre ein Horrorszenario.

Wie wichtig ist das Kino für einen jungen Regisseur denn noch?

Wenn ich einen Film konzipiere, habe ich immer noch das Kino im Kopf. Als Referenz beim Arbeiten ist es für mich also zentral – sonst nicht mehr so.

Gut möglich aber, dass Kinos genau wie Festivals bald nur noch Orte sind, an denen man Filme lanciert. Die grosse Masse wird sie zuhause konsumieren. Ich seh’s ja bei mir selbst.

Zeitgemäss ist das nicht mehr, manchmal sogar etwas naiv.
Autor: Simon Jaquemet Filmemacher

Die Pandemie mag Prozesse beschleunigen, die vorher schon weit fortgeschritten waren. Kino, DVD, VoD: Die alten Auswertungswege werden wohl bald Kulturgeschichte sein. Inwiefern trägt die Schweizer Filmförderung dieser Realität Rechnung?

Zeitgemäss ist das nicht mehr, manchmal sogar etwas naiv. Mir scheint oft, dass einige Fördermenschen glauben, es könne tatsächlich Filme geben, die in Cannes im Wettbewerb laufen und dann auch noch zum Blockbuster in den Schweizer Kinos werden können.

Dabei ist es doch offensichtlich, dass sich die Dinge immer stärker separieren. Die Mischung aus international erfolgreichem Wettbewerbsfilm und Schweizer Publikumsliebling gibt es praktisch nicht mehr.

Verkehrt wäre es nicht, sich im Rahmen der Förderung zu sagen: Dieser Film hat das Zeug zur Karriere an internationalen Festivals. Man darf dann aber nicht die Erwartung haben, er müsse auch ein Massenpublikum ins Kino locken.

Noch immer ist die Anzahl verkaufter Kinotickets das Mass aller Förderdinge.

Ich halte es für ein Problem, dass man die Streaming-Zahlen in der Erfolgsauswertung eines Films nicht in Betracht zieht. Wenn heute einer mit seinem Drehbuch zum BAK kommt und sagt: «Der geht dann nur als VoD» – ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut ankäme.

Korrekt: Der Erfolg eines Films misst sich an der Schweizer Kinoauswertung. Ein Film gilt als Flop, wenn er weniger als 10’000 Eintritte generiert. Meine Filme performen oft gut an Festivals.

«Die Unschuldige» etwa wurde von 150'000 Zuschauern auf ARTE gesehen. Aber weder sie bringen in der Schweiz kein breites Publikum ins Kino. Ob man da von Misserfolg sprechen kann? Es war ja das Konzept des Films.

Jugendliche auf einer Bergwiese.
Legende: Mehrfach preisgekrönt: Simon Jaquemets sackstarker Erziehungs-Erstling «Chrieg» (2014). Outside the Box

Was läuft gut im Filmförderland Schweiz?

Ich möchte das Schweizer Modell gar nicht zu stark kritisieren. Für mich hat das oft gut funktioniert. Klar, diese Kommissionen haben ihre Vor- und Nachteile. Ich bin trotzdem nicht für ein Intendanten-System, in dem nur jemand das Sagen hat.

Ein Problem beim BAK ist bestimmt die fehlende Transparenz. Wegen möglicher Einsprachen muss alles wasserdicht und verklausuliert formuliert sein. Man kann nicht ehrlich sagen, warum ein Film nicht gefördert wird.

Eine offene Kommunikation würde die Gefahr bergen, dass es mehr Einsprachen gäbe, die Mitglieder würden angreifbarer. Und doch wäre es gut, man kriegte das offener hin. Gut wäre es aber auch, wenn mehr Projekte gefördert würden – gerade jetzt.

Für Netflix ist der Schweizer Markt zu klein und zu wenig interessant.
Autor: Simon Jaquemet Filmemacher

Mehr Projekte fördern, aber mit weniger Geld: Das ist eine der älteren Forderungen des Swiss Fiction Movement, dem sie auch angehören.

In Zürich macht man das mittlerweile. Ich meinte eher, es wäre gut, es gäbe nach Corona grundsätzlich mehr Geld für Schweizer Filme. Warum nicht 30 Prozent zusätzlich für einen Zeitraum von, sagen wir, zwei Jahren?

Was mir auch nicht so gefällt am Filmförderland Schweiz: Ich habe das Gefühl, dass man hier nur auf den Schweizer Markt schielt – sogar nur auf den Deutschschweizer. Wo bleibt der Blick für Europa?

Gerade bei minoritären Schweizer Koproduktionen ist dem BAK der Schweiz-Bezug immer wahnsinnig wichtig. Es wäre schön, die Schweiz könnte bei mehr guten internationalen Projekten dabei sein.

Eine Frau, umringt und berührt von verschiedenen Menschen.
Legende: Im Kino ein Flop, als VoD der Renner: Jacqumets letzter Film «Die Unschuldige» (2018). Ascot Elite

Wie gut sind Sie auf den Streaming-Giganten Netflix zu sprechen?

Dass Netflix bei dem Gewinn, den das Unternehmen in der Schweiz macht, Geld in den lokalen Filmmarkt re-investieren müsste, steht für mich ausser Frage. Die angedachten vier Prozent sind für mich eigentlich das Mindeste, das uns zusteht.

Netflix wäre, rein theoretisch, ein potenzieller Koproduzent für Ihre nächsten Filme – wenn nicht sogar ein potenter Arbeitgeber?

Schwierig. So wie ich das bisher mitbekommen habe, ist für Netflix der Schweizer Markt zu klein und zu wenig interessant, als dass man ein Interesse an Schweizer Produktionen hätte. Das können wir vergessen.

Ich finde auch schwierig, dass Netflix meist die Exklusivrechte will und eine Kinoauswertung gar nicht mehr möglich ist.

Mein Ziel ist es, regelmässig arbeiten zu können.
Autor: Simon Jaquemet Filmemacher

Wäre bei der Filmförderung mehr Flexibilität wünschbar, als sie das BAK
möglich zu machen scheint?
Story Lab will das vormachen – das neue
Förderprogramm der Migros
, das audiovisuelle Stoffe fördert, ohne dass
von allem Anfang klar sein muss, wohin die Reise gehen soll.

Super Sache. Und das Ganze läuft erst noch absolut anonym ab. Namen spielen keine Rolle.

Auch die Zürcher Filmstiftung ist bereits so unterwegs, dass man bei
Projektentwicklungen relativ flexibel und offen ist. Da ist es schon nur noch das BAK, das diese klassische Drehbuchschiene fährt. Das ist schon ein bisschen altmodisch.

Sie haben einen Wunsch frei: Wie soll die Schweizer Filmförderung in zehn Jahren aussehen?

Mein Ziel ist es, regelmässig arbeiten zu können. Es wäre toll, nicht bei jedem Film immer wieder das grosse Zittern zu haben. Aber vielleicht muss dieses Zittern auch einfach dazugehören.

Das Gespräch führte Stefan Gubser.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 28.3.2021, 09:03 Uhr ; 

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