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Making of Tatort: Die Musik stirbt zuletzt
Aus Kultur Extras vom 27.07.2018.
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Schweizer Tatort Dani Levy: «Dieser Abend war für mich ein einziges Wunder»

Der neuste Schweizer Tatort «Die Musik stirbt zuletzt» wurde an einem Stück gedreht. Einen Film mit einem einzigen Take drehen: Eine überwältigende Erfahrung für Regisseur Dani Levy.

SRF: Ihre Tatort-Folge haben Sie in einer einzigen Einstellung gedreht. Das ist eine grosse Herausforderung – technisch und auch beim Inszenieren. Warum ist das für die Zuschauerinnen und Zuschauer interessant?

Dani Levy: Diese Idee, einen Film in einer Einstellung ohne Schnitt zu drehen, hat viele Regisseure schon vor 60 bis 80 Jahren beschäftigt. Für mich war die Herausforderung dieser Arbeitsweise nicht die Priorität.

Dani Levy

Dani Levy

Regisseur

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Dani Levy, 1957 in Basel geboren, ist seit Mitte der 1980er-Jahre als Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor tätig. Seine wohl bekannteste Regiearbeit ist die Hitler-Parodie «Mein Führer» mit Helge Schneider in der Rolle als NS-Diktator. Er lebt in Berlin und ist sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland tätig.

«Die Musik stirbt zuletzt» ist nach «Schmutziger Donnerstag» die zweite Tatort Episode, bei der Levy Regie führte.

Oft unterstellt man den Regisseuren, dass sie damit eine Art Rekord aufstellen oder Aufsehen erregen wollen. Für mich war es etwas anderes.

Das Schlüsselerlebnis war der Film Victoria von Sebastian Schipper. Dieser Film wurde in einer einzigen Einstellung gedreht. Und er zieht den Zuschauer wirklich hinein in eine Art «Live Action».

Das heisst man ist als Zuschauer intensiver dabei?

Ein Film besteht normalerweise aus 1000 Manipulationen: Schnitte, Zeitsprünge, ausgesuchte Takes. Es werden Szenen verkürzt, verlängert. Die ganze Montage eines Filmes ist eine riesige Betrugsmasche – auf eine gute Art und Weise, die ich sehr liebe.

Der Zuschauer spürt unterbewusst: Er wird nicht betrogen.

Aber wenn man einen Film in einem Take dreht und das ehrlich macht, dann entsteht etwas Kompromissloses, eine Art Sog für den Zuschauer. Der Zuschauer spürt unterbewusst: Er wird nicht betrogen.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler waren begeistert. Sie konnten spielen wie auf der Theaterbühne und hatten ihre Freiheit – denn wenn die Inszenierung mal läuft, können Sie als Regisseur ja kaum mehr Einfluss nehmen.

Ich hätte auch im See baden gehen können. Ich bin mit gerannt, weil ich bei dem Event dabei sein wollte.

Das war aber sehr gefährlich, denn wenn man mich irgendwo gesehen hätte, hätte man den ganzen Tag Arbeit vergessen können. Aber ich wollte dabei sein. Ich konnte aber nicht immer verfolgen, was passiert.

Was nehmen Sie mit von dieser Arbeitsweise?

Der Teamgeist in der Mannschaft, unter den Schauspielern, Technikern war überwältigend, unglaublich konzentriert und fokussiert. Damit so etwas funktioniert, muss wirklich jede Einzelne mithelfen.

Dieser Abend war für mich wirklich ein einziges Wunder. Keiner von uns wusste, ob es klappt oder nicht.

Dies mitzuerleben war ein Meilenstein in meiner Karriere und das, obwohl ich selbst nichts tun konnte. Ich konnte keine Zeichen geben und es hätte auch gar nichts gebracht.

Es ist völlig richtig, diese Kontrolle wegzugeben. Und es hat auch etwas unglaublich Schönes. Das ist echtes Vertrauen – nach dem Motto: «Ich lass euch machen.»

Das Ganze ist ja auch für den Kameramann eine enorme physische Belastung. Er muss dauernd mit rennen und gleichzeitig filmen.

Wir haben vier Wochen geprobt. Die ganzen vier Wochen war der Kameramann mit anwesend.

Er kannte jeden Satz, jedes Komma – wie ein sehr guter Regieassistent oder Souffleur. Er sah genau, wenn ein Schauspieler einen Hänger hatte. Dann hätte er improvisieren müssen und schnell jemand anders filmen müssen.

Er wusste auf die Sekunde genau was passiert und war wirklich Teil des Ganzen. Er hat die Kamera völlig alleine bedient und es gab auch niemanden, der mit ihm auf der Reise war – ausser mir, der gelegentlich hinterher gestolpert ist.

Das heisst, es waren wirklich bloss die Schauspieler und der Kameramann, die durch diesen Abend gegangen sind. Ein enormer Aufwand.

Sie haben sich einen erstaunlichen Gag geleistet, den man in einem «One Take»-Filme noch nie gesehen hat: Sie haben eine Rückblende eingebaut. Eine Frau erzählt von einer Kindheitserinnerung, öffnet eine Tür und hinter der Tür findet tatsächlich diese inszenierte Kindheitserinnerung statt. Wie sind Sie darauf gekommen?

Wir haben es so geschrieben. Das heisst, es gab eigentlich gar keine Wahl. Ich denke «One Takes» könnte man auch noch massiv weitertreiben. Man könnte in einem «One Take» ohne Weiteres auch nach vorne oder nach hinten gehen in der Zeit.

Ich konnte noch in den finalen Film eingreifen. Diese Art von Freiheit hatte ich noch nie.

Die Rückblende spielt nicht nur in einer anderen Zeit, nämlich in den 70er-Jahren, sondern auch noch im Urwald. Das heisst, der Urwald musste in den Raum eingebaut werden.

Eine weitere Herausforderung waren die Statisten: über tausend Personen haben mitgemacht. Wer hat das dirigiert?

Es waren rund 1200 Statisten im KKL. Sie mussten zur richtigen Zeit in die Pause gehen. Zur richtigen Zeit wieder rein. Da war eine Menge zu organisieren: Sitzen, aufstehen, Standing Ovations. Das hat ein Team von Regieassistenten und Aufnahmeleiter organisiert – auf eine sehr typisch schweizerisch-routinierte Art und Weise.

Es ist, als hätte man viermal eine Premiere.

Dieser Abend war für mich wirklich ein einziges Wunder. Keiner von uns wusste, ob es klappt oder nicht.

Keiner von uns wusste, ob wird in der Zeit durch den Abend kommen und ob dieses ganze Konstrukt, das wir da geprobt haben, überhaupt in der Form realisierbar ist. Auch nicht, ob der Film dann sehenswert ist.

Wie geht man mit diesem Kontrollverlust um? Am Schluss müssen Sie ja einen Film abliefern.

Insgesamt haben wir diese Tatort-Folge viermal gedreht. Zweimal auf Schweizerdeutsch und zweimal auf Hochdeutsch.

Nach einem Take hatten wir jeweils einen Tag Pause bis zum nächsten Dreh. Da haben wir uns den Take ansehen können. Das heisst, wir haben den ganzen Film gesehen. Wir wussten: genau das ist der Film.

Ich konnte dann auf den Film reagieren, Szenen kürzen und sagen: Seht mal Leute, hier schneller spielen. Hier braucht man eine andere Position vor der Kamera. Hier ist es zu lang, hier langweile ich mich. Ich konnte noch in den finalen Film eingreifen. Diese Art von Freiheit hatte ich noch nie.

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Legende: SRF/Hugofilm

Ein Benefizkonzert im KKL. Was ein besinnlicher Abend mit klassischer Musik werden soll, gerät aus den Fugen: Erpressung, Mord, dunkle Geheimnisse, ungesühnte Schuld... und mitten drin: Flückiger und Ritschard, die unter massivem Zeitdruck den Täter finden müssen.

Darum geht es in Dani Levys Tatort «Die Musik stirbt zuletzt», der am Sonntag, 5. August 2018 um 20:05 auf SRF 1 ausgestrahlt wird.

Normalerweise muss man Nachdrehen und dann wieder in den Schnitt. In dem Fall konnte ich sehr schnell und sehr effizient eingreifen und die Takes wurden auch systematisch besser. Lustigerweise sind beide Takes, die wir genommen haben, immer die zweiten.

Und obwohl die ganze Crew eine Routine entwickelt hat, war immer noch unglaublich viel Adrenalin da. Es ist, als hätte man viermal eine Premiere.

Das Gespräch führte Michael Sennhauser.

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