Der Wiener Filmemacher inszeniert in seinen drei aktuellen Filmen «Paradies: Liebe», «Paradies: Glaube», «Paradies: Hoffnung» die Körper von drei Österreicherinnen. In beeindruckenden fotografischen Tableaus blickt Ulrich Seidl so schonungslos auf diese Körper seiner Protagonistinnen wie der Maler Lucien Freud auf seine Modelle. Seidl erzählt in seinem Filmprojekt «Paradies» von drei Frauen, die verwandt sind miteinander. In «Paradies: Liebe» geht es um eine Sextouristin, in «Paradies: Glaube» um deren Schwester als missionierende Katholikin, und in «Paradies: Hoffnung» um eine Tochter als Teenager in einem Diät-Camp.
Der immer wieder geäusserte Vorwurf, Ulrich Seidl sei ein Zyniker, der die Menschen vor allem mit ihren Schwächen zur Schau stelle, trifft nicht zu.
Vor der Kamera mag der Filmemacher seine Figuren aufs Intimste entblössen, doch nie macht er sich lustig über sie oder fällt ein Urteil. Seidl zeigt oft Menschen, die sich einsam oder verlassen fühlen. Sein erschreckend nüchterner Blick speist sich immer aus einem dokumentarischen Anspruch.
«Paradies: Liebe»
Im ersten Teil der Trilogie geht s um den Sextourismus in Kenia. Der Film begleitet die 50jährige Wienerin Teresa auf eine Urlaubsreise nach Ostafrika. Von der Sehnsucht nach Zuneigung getrieben, heuert sie einen Einheimischen als Bettgenossen an. Dabei verwechselt sie zunehmend Geschäft mit Liebe. Am Ende bleibt für alle Beteiligten nur trübe Ernüchterung. Ulrich Seidl gelingt das Kunststück, sehr realistisch und dabei nachvollziehbar zu zeigen, was auf der Welt in Sachen Sex alles möglich ist.
«Ich möchte, dass einer in meine Seele sieht und nicht auf meinen dicken Hintern», formuliert Teresa gegenüber einer anderen Urlauberin ihre Hoffnungen und offenbart dabei ihre berührende Naivität. Enttäuschung und Verletzung sind vorprogrammiert. Doch bei Ulrich Seidl gibt es keine Gewinner und Verlierer, keine Opfer und keine Täter. Die Grenzen sind fliessend.
«Paradies: Glaube»
Religiosität heute, als Spiegel gesellschaftlicher Zustände. Die Geschichte einer Krankenschwester, die ein masochistisch-lustvolles Verhältnis zu Jesus entwickelt, brachte Seidl bei den Filmfestspielen in Venedig neben vielen Diskussionen auch eine Anzeige wegen Blasphemie ein. Maria Hofstätter spielt eine Röntgenassistentin in Wien, die ihr Leben radikal dem katholischen Glauben widmet. Was anfangs wie ein religiöser Spleen wirkt, inklusive Missionierung mit einer Wandermuttergottes, nimmt mehr und mehr selbstzerstörerische Züge an.
Der Film wurde in Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Die Hauptdarstellerin Maria Hofstätter wird im März 2013 für ihre Rolle einer radikalen Christin mit dem Grossen Schauspielpreis der «Diagonale» in Graz ausgezeichnet. Hofstätter arbeitet seit rund zehn Jahren immer wieder begeistert mit Seidl zusammen.
«Paradies: Hoffnung»
Der letzte Teil von Ulrich Seidls Trilogie läuft im Februar im Wettbewerb der Berlinale. Im Mittelpunkt steht die Tochter der Sextouristin aus «Paradies: Liebe».
In allen drei Filmen sucht jeweils eine Frau nach dem Paradies auf Erden.
Lange bevor das Reality-TV zum Fernsehalltag wurde, richtete Seidl seinen Blick in einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion immer wieder auf Aussenseiter. Neben professionellen Schauspielern engagiert er auch Laien.
Sein Stil mit oft langen und distanzierten Einstellungen besitzt poetische Kraft und grosse Unmittelbarkeit. Egal ob man die Filme von Ulrich Seidl mag oder nicht, sie fordern den Zuschauer immer zu einer Haltung heraus. Kalt lassen sie einen nie.