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Spektakulärer Stummfilm Dieser Bergsteigerfilm war eine Sensation

Dreh auf 4000 Metern, eine Frau in der Hauptrolle, der Soundtrack von Paul Hindemith: Vor 100 Jahren kam «Im Kampf mit dem Berge» in die Kinos.

Wenn das nur gut geht. Nur mit Eispickeln ausgerüstet und durch einfache Hanfseile gesichert, kämpfen sich die beiden Protagonisten des Films durch ein Labyrinth aus tiefen Gletscherspalten und über Schneefelder hinauf auf den Gipfel.

«Im Kampf mit dem Berge», der erste abendfüllende Bergfilm, läuft am 22. September 1921 in den Kinos an. Filmpionier Arnold Fanck inszeniert darin die spektakuläre und gefährliche Besteigung des 4500 Meter hohen Liskamm in den Walliser Alpen. In den Hauptrollen: Ilse Rohde und Hannes Schneider.

ein schwarz-weiss Bild einer Frau auf Skiern
Legende: Auch beim Skifahren setzt Ilse Rohde auf leichte Kleidung. Privatbesitz Stefanie Latzin

«Die hatten ja keine T-Shirts!»

Aus heutiger Sicht erscheint uns die damalige Ausrüstung mehr als rudimentär. «Die hatten ja keine T-Shirts! Meine Oma hatte fast immer eine weisse Bluse an», sagt Stefanie Latzin, die Enkelin von Ilse Rohde (74).

Ilse Rohde wird eher zufällig zur Protagonistin des Fanck-Films. Sie ist eigentlich Lehrerin und keine Schauspielerin. Aber wann immer sie kann, ist sie in den Bergen unterwegs. Vor allem ihr älterer Bruder Hans, damals der beste Freund von Arnold Fanck, habe die Schwester überall auf Tour mitgenommen.

ein schwarz-weiss Foto eines jungen Mannes in Uniform
Legende: Ilses älterer Bruder Hans Rohde war auch ein passionierter Bergsteiger. Privatbesitz Stefanie Latzin

Kuscheln mit dem Co-Star

«Sie sind in Freiburg aufgewachsen, da ist der Feldberg nicht weit. Auch in den Schweizer Alpen waren sie oft. Darum war meine Grossmutter auch so sportlich und total drahtig», erzählt Stefanie Latzin.

Ilse Rohde ist damals 25 Jahre alt. Dass eine junge Frau mehrere Wochen mit drei Männern in den Bergen verbringt, ist zur Zeit der Dreharbeiten im Oktober 1920 unüblich. Da sie bereits verlobt ist, schliesst sie mit ihrem Zukünftigen einen Ehevertrag ab.

«Meine Oma hat ihr Ding gemacht in ihrem Leben. Ich weiss zwar nicht, was mein Grossvater zu der Szene gesagt hat, in der sie kuschelnd mit Hannes Schneider unter der Decke sitzt, aber sie war ja danach eine ganz brave Hausfrau», sagt Stefanie Latzin augenzwinkernd.

Auftritt Paul Hindemith

Während Ilse Rohde heiratet und mit ihrem Mann in die Nähe von München zieht, reist Arnold Fanck nach den Dreharbeiten in seine Villa in Merano in den Südtiroler Alpen, um dort seinen Film «Im Kampf mit dem Berge» fertigzustellen. Über einen gemeinsamen Freund macht Arnold Fanck dort die Bekanntschaft des jungen Paul Hindemith.

Sein Stern als einer der führenden Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht gerade erst auf. Eben hatten die Premieren seiner Kurzopern «Mörder, Hoffnung der Frauen» und «Das Nuschi-Nuschi» einen Skandal ausgelöst.

ein schwarz-weiss Foto eines Orchesters und eines Komponisten
Legende: 1955 war Paul Hindemith bereits ein berühmter Komponist. IMAGO / United Archives International

Im sommerlichen Merano will sich Paul Hindemith vom Trubel erholen. Aber seine Neugier zieht ihn schon ins nächste Projekt: Hindemith schaut interessiert zu, wie Arnold Fanck seinen Film schneidet und schreibt binnen weniger Wochen eine der frühesten originären Stummfilmmusiken.

Zu gross fürs Kino

Hindemiths Musik trägt noch den ursprünglichen Titel des Films: «In Sturm und Eis. Eine Alpensymphonie in Bildern». Er lässt das fertige Werk unter dem Pseudonym Paul Merano drucken und überreicht es Arnold Fanck als Geschenk.

Das sei diese Musik tatsächlich für den Film, findet der Dirigent und Stummfilmexperte Frank Strobel. Im besten Fall erreiche gute Stummfilmmusik, dass die Bilder dreidimensional würden. «Hindemiths Musik hat einen grossen Anteil daran, dass Arnold Fancks Bilder so echt wirken auf das Publikum. Diese Musik ist ein grosser Wurf.»

ein historisches Filmposter
Legende: Das historische Kinoprogramm verspricht einen dramatischen Bergfilm. Privatbesitz Stefanie Latzin

Späte Genugtuung

Trotzdem wird Hindemiths Musik 1921 bei der Kinopremiere nicht gespielt. «Ich glaube, sie war einfach zu schwer und die Zeit zu knapp», sagt Frank Strobel. Ausserdem griffen die Kinokapellmeister damals lieber auf eigene Musik zurück beziehungsweise stellten sie selbst zusammen. Auch um Tantiemen zu sparen.

Der Film von Arnold Fanck geht kurz nach seiner Kinopremiere verloren und gilt jahrzehntelang als verschollen, bis er 2013 rekonstruiert und digitalisiert wird. Übrigens nur dank der Filmmusik.

Hindemith hat nämlich alle Zwischentitel und viele Minutenangaben in der Originalpartitur notiert. Seine Musik wird zum wichtigsten Hilfsmittel bei der Rekonstruktion. Eine späte Genugtuung für den Komponisten.

 

 

Radio SRF 2 Kultur, Passage, 5.11.2021, 20:00 Uhr

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