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Streamingdienst «Quibi» Pathos und Trash im Häppchenformat

Der neue Streamingdienst «Quibi» bietet Serien im Kurzformat an. Das funktioniert eher schlecht als recht.

Oh nein, nicht noch ein Streamingdienst, wird manch einer denken.

Und ein schneller erster Blick zeigt: Das Angebot von Quibi (kurz für «quick bites») – mit Produktionen in den Bereichen Reality-TV, Drama, Thriller, Comedy, (Promi-)News und Dokus – deckt ein ähnliches Gebiet ab wie Marktführer Netflix.

Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Die Folgen sämtlicher Formate dauern allesamt weniger als zehn Minuten und sind ausschliesslich für die mobile Nutzung konzipiert.

Will heissen: Man kann sich alle Serien sowohl im Quer- als auch im Hochformat auf dem Smartphone ansehen.

Unterhaltung für unterwegs

Als Zielgruppe für diese Serien sind in erster Linie die Jahrgänge unmittelbar vor und nach der Jahrtausendwende vorgesehen.

Das Zeitlimit der Folgen sowie die exklusive Mobil-Nutzung lassen ausserdem vermuten, dass Quibi sich gerne von Beginn an als Streamingdienst für unterwegs positioniert hätte.

Der richtige Zeitpunkt?

Wegen Corona boomen die verschiedenen Anbieter. Allerdings dürften sich Meg Whitman, ehemalige Geschäftsführerin von eBay und Hewlett-Packard, und Dreamworks-Mitbegründer Jeffrey Katzenberg, die hinter Quibi stecken, weniger an den weltweit getroffenen Selbstisolations-Massnahmen erfreuen als die etablierte Konkurrenz von Netflix oder Disney+.

Denn während einer Zeit ins Streaming-Rennen einzusteigen, in der beträchtliche Teile der Kundschaft beinahe zwangsläufig Filme und Serien mit ordentlich Fleisch am Knochen für sich (wieder-)entdecken, zeugt so gesehen von Selbstvertrauen – oder grober Fahrlässigkeit.

Dazu passt, dass der Dienst, der hierzulande monatlich acht Franken kostet, ganze 90 Tage lang gratis getestet werden kann.

Grosse Namen

An Budget und – demzufolge – grossen Namen mangelt es Quibi nicht: Als Serienschöpfer konnte man Steven Spielberg, Steven Soderbergh oder Guillermo del Toro verpflichten. Ihre Produktionen lassen aber noch auf sich warten.

Vor der Kamera gibt es mit Idris Elba, Jennifer Lopez, Kevin Hart oder Christoph Waltz bereits einige weltbekannte Gesichter zu sehen.

Die interessanteste Frage, die sich potenziellen Abonnenten stellen, lautet wohl: Inwiefern lassen sich in unter zehn Minuten unterhaltsame Geschichten erzählen?

Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht.

Die Trash-Flagge hissen

Die bisher abrufbaren Produktionen aus dem Bereich Fiktion überzeugen zwar grösstenteils visuell, bleiben inhaltlich aber allesamt ziemlich dünn und leiden unter pathetischen Dialogen oder expositionsschwangeren Erzählerstimmen.

Dazu zählen die Thriller-Serie «Most Dangerous Game» oder die 90er-Coming-of-Age-Kriminalgeschichte «When the Streetlights Go On».

Besser funktionieren die Serien, die erhobenen Hauptes die Trash-Flagge hissen: «Let’s Roll with Tony Greenhand» zeigt den im Titel erwähnten Joint-Dreh-Virtuosen dabei, wie er individuelle Meisterwerke für seine illustren Gäste aus der Comedy-Welt anfertigt.

In «Murder House Flip» treffen «True Crime» und Renovierung aufeinander, in dem ein Team von Inneneinrichtern Häuser aufpeppt, in denen sich einst Unsägliches abgespielt hat.

Ein derart hanebüchenes Sendungs-Konzept kann nur als satirischer Kommentar auf die voyeuristische Reality-TV-Faszination dieses Jahrtausends verstanden werden.

Unabhängig vom Genre lassen sich die «Quick Bites» gut mit Zigaretten vergleichen: Sie schaffen Ablenkung für wenige Minuten, ohne dass man dafür geistig präsent sein müsste – doch letztendlich überwiegen die negativen Langzeitfolgen.

Sendung: Radio SRF 3, 15.4.2020, 10:10 Uhr.

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