«Beine auseinander!», befiehlt der Mann mit der Rasierklinge, bevor er dem Jüngling im weissen Gewand die Vorhaut stutzt. «Sag: Ich bin ein Mann!», brüllt der Vollstrecker dem Beschnittenen direkt danach ins Gesicht. «Ich bin ein Mann!», entgegnet dieser tapfer, obwohl er wohl am liebsten vor Schmerzen losheulen würde.
Nein, wir befinden uns nicht in einer archaischen Vergangenheit. «The Wound» spielt in der Gegenwart – im südlichsten Zipfel Afrikas. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist ein mehrwöchiger Initiationsritus, den die Einheimischen «Ukwaluka» nennen. Für das Volk der Xhosa besitzt allein dieser die Macht, aus Jungs Männer zu machen.
Das Schweigen der Männer
Die traditionell ohne Betäubung durchgeführte Beschneidung bildet nur den Auftakt. Danach folgt für die Jungs – abgeschottet in einer Art Zeltlager in den Bergen – eine Zeit des Fastens. Diese dauert so lange, bis die körperlichen Wunden verheilt sind.
Frauen werden während dieser Zeit keine geduldet. Für sie soll es ein Mysterium bleiben, was genau in den Zelten geschieht. Nicht zuletzt deshalb ist es Xhosa-Männern strengstens verboten, über ihre Beschneidungserfahrung zu sprechen.
Über den Ritus wird nicht geredet. Dieser Grundsatz der Geheimhaltung gilt noch immer. Nur so ist der Aufschrei zu verstehen, als Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela 1994 mit seiner detaillierten Autobiographie etwas am Tabu kratzte.
Verletzte Männlichkeit, brüchige Maskulinität
Und was hat das alles mit «Brokeback Mountain» zu tun? Die Parallelen zum Oscarhit erschliessen sich erst, wenn man tiefer in die Handlung von «The Wound» eindringt.
Auch hier geht es um Männer, die nur in der Abgeschiedenheit der Natur zu ihren homosexuellen Neigungen stehen. Auch hier ringen die Kerle angesichts konservativer Rollenbilder lange mit ihrem Begehren. Auch hier pendelt die Stimmung ständig zwischen hitziger Aggression und pulsierender Liebe.
«The Wound» reizt das dramatische Potential seiner Geschichte aber noch mehr aus – ist quasi «Brokeback Mountain» für Fortgeschrittene: mit drei, statt nur zwei Protagonisten.
Unvorhersehbare Story
Zwei der drei Hauptfiguren arbeiten beim Ukwaluka-Ritus als Pfleger: Xolani liebt Vija innig und würde sofort mit ihm durchbrennen. Doch Vija, der Frau und Kinder hat, will sich bloss am anderen Ufer etwas amüsieren.
Der Dritte im Bunde ist Kwanda: Ein schwuler Teenager aus Johannesburg, der die Beziehung seiner Pfleger rasch durchschaut und nachhaltig durcheinanderwirbelt. Klar, dass er sich damit in Teufels Küche bringt. Und doch verblüfft es, wieviel Spannung Regisseur John Trengrove aus diesem Konflikt für sein Spielfilmdebüt erzeugt.
Als Zuschauer weiss man nie, in welche Richtung die Dreiecksbeziehung kippt: Mitgefühl, Lust und Wut liegen in diesem fiebrigen Film über Homosexualität, Homophobie und Männlichkeit ganz nah beieinander. Das Beste ist aber sein Finale. «The Wound» mündet in ein Ende, das überrascht und doch plausibel erscheint. Anschauen!
Kinostart: 14.09.2017
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 13.9.2017, 8.20 Uhr