Die Fantasyroman-Trilogie «Herr der Ringe» von J.R.R. Tolkien ist eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten. Auch Peter Jacksons Verfilmungen mit gigantischen Spezialeffekten, Zauberern, Elfen, Hobbits und bösen Orks sind absolute Kassenschlager.
Jetzt ist eine bisher fast unbekannte TV-Version von «Herr der Ringe» im Netz aufgetaucht – aus der Sowjetunion aus dem Jahr 1991. Das war zehn Jahre, bevor der erste Peter Jackson-Film in die Kinos kam.
Low-Budget-Produktion
Die Sowjet-Version trägt den Titel «Khraniteli», ist die einzige «Herr der Ringe»-Adaption, die je in der Sowjetunion entstand und galt bisher als verschollen. Jetzt ist die Version auf YouTube wieder aufgetaucht – und mutiert zum Hit.
YouTube-Hit
Und das, obwohl die sowjetische Fernsehversion nichts von Peter Jacksons Gigantismus hat. Statt opulent und aufwändig inszeniert, zeigt «Khraniteli» über weite Strecken Schauspieler auf der Bühne.
«Das ist eine Art Kammerkunst», erklärt Ulrich Schmid, Professor für die Kultur und Geschichte Russlands. «Natürlich gibt es da auch Outdoor-Szenen. Aber man hat das Gefühl, dass der Film mehr im Hinterhof oder im nächsten Wäldchen gefilmt worden ist», so Schmid.
Weit weg von Hollywood
Bei der russischen Version von «Der Herr der Ringe» wird sichtbar, dass die finanziellen und auch technischen Mittel 1991 in Russland weit entfernt waren von den Möglichkeiten von heute. «Und doch ist es eine einzigartige Ästhetik, auf die man sich einlassen muss. Wer das tut, wird belohnt», so Schmid.
Belohnt wird man mit einer «Herr der Ringe»-Version, die stilistisch gewagt ist. Da wären zum Beispiel die überschwänglichen, überkünstelten Gesten der Darsteller.
Für Ulrich Schmid trifft es das, was die US-amerikanische Intellektuelle Susan Sontag einmal als «camp» bezeichnet hat. «Übertriebene Kostüme, übertriebene theatralische Gesten. Das findet man sonst in der späten offiziellen Sowjetkultur kaum.»
Blütezeit der Untergrund-Kultur
Anderswo importierten die «Khraniteli»-Macher auch Figuren aus der italienischen Theatertradition der Commedia dell'arte. Solche Stilbrüche wurden von vielen Exponenten aus der damaligen Gegenkultur umgesetzt. Künstlerinnen und Künstler, die schon lange mit dem System gebrochen hatten.
«Diese sowjetische Verfilmung stammt aus dem Jahr 1991, eine Umbruchszeit in der neueren russischen Geschichte», da die Sowjetunion ein halbes Jahr später untergegangen ist. «Man sieht hier sehr deutlich, wie die Untergrund-Theaterkultur zusammen mit der Musikkultur ein ganz eigenartiges Kunstwerk hervorgebracht hat.»
Das sowjetische Tolkien-Unikat aber dürfte viele eingefleischte Fans abschrecken. Wer aber eine Reise unternehmen möchte, kann sich einen ästhetischen Mix gönnen, den man so wirklich noch kaum je gesehen hat.