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Übergriffe beim Casting Schweizer Regisseur muss Aufnahmen löschen

Schauspielerinnen erzählen in einem neuen Dokumentarfilm von sexuellen Übergriffen an einem Casting. Nun erfahren sie auch vor Gericht Genugtuung, wie Recherchen von «SRF Investigativ» zeigen.

«Das nächste Mal hau ich dir in die Fresse», sagt Aileen Lakatos im Dokumentarfilm «The Case You» eindringlich und fast regungslos in die Kamera. Die Wut richtet sich gegen den Regisseur, dessen Casting die junge Schauspielerin besucht hatte. Dort wurde sie zum Opfer von sexuellen Übergriffen: «Seine Hände gingen dann zu meinen Brüsten und bis nach unten zwischen meine Beine und an den Po.»

Was Aileen Lakatos in «The Case You» erzählt, passierte vor gut sieben Jahren an einem Casting eines Schweizer Regisseurs. Seinen Namen nennt SRF aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht. Mit ihren Erfahrungen ist die junge Schauspielerin nicht allein. Auch andere, die am Casting teilgenommen haben, erzählen von Übergriffen während des Vorsprechens. Im Dokumentarfilm treten fünf von ihnen auf.

Geplante Übergriffe beim Casting

Im Film erzählen Lakatos und vier weitere Frauen ihre Geschichte. Sie alle haben vor mehreren Jahren an demselben Casting eines Schweizer Regisseurs teilgenommen und wurden mit Übergriffen, zum Teil sexueller und gewaltsamer Natur, konfrontiert. Die Erzählungen der jungen Frauen legen eine perfide Strategie offen, in der die Machtposition des Regisseurs im Namen der Kunst schamlos ausgenutzt wurde.

Bedrängt wurden die jungen Schauspielerinnen am Casting zwar nicht vom Regisseur selbst. Doch Recherchen zeigen, dass er die Übergriffe veranlasst hat. Für die Casting-Reihe hatte er Schauspieler engagiert. Er soll diese aufgefordert haben, Casting-Teilnehmerinnen während des Vorsprechens zu bedrängen. Das bestätigt ein Teil dieser Schauspieler gegenüber SRF. Einzelnen Schauspielern war das zu viel. Sie brachen das Casting ab.

Dokumentarfilm als Selbstermächtigung

Die Casting-Teilnehmerinnen wussten von all dem nichts. In der Szene, die sie für das Casting eingeübt habe, sei es nicht um solche Übergriffe gegangen, sagt Aileen Lakatos. Und selbst wenn: Sie sei weder vom Regisseur noch von der Produzentin gefragt worden, ob es für sie in Ordnung sei, wenn sie jemand während des Vorsprechens im Intimbereich anfasse, so Lakatos im Interview mit SRF.

Frau sitzt auf Theaterbühne
Legende: Schauspielerin Aileen Lakatos in «The Case You». MINDJAZZ PICTURES

Für die jungen Schauspielerinnen ist «The Case You» eine Art Selbstermächtigung. Sie wollen auf Missbrauch-Strategien in der Film- und Kulturbranche aufmerksam machen. Die Scham bleibe, sagt Aileen Lakatos. Die Scham, sich zu etwas gedrängt haben zu lassen, das sie eigentlich nicht wollte.

Auch andere Schauspielerinnen machen schlechte Erfahrungen

Auch Schauspielerin Paula Schramm, bekannt aus deutschen Fernsehserien, hat schlechte Erfahrungen mit dem Schweizer Regisseur gemacht. Vor gut zehn Jahren hat sie in einem seiner Filme mitgespielt. Sie habe mehrmals einfordern müssen, den Rohschnitt des Films sehen zu können. Als sie sich die Ausschnitte habe anschauen können, habe sie gemerkt, dass der Regisseur sich nicht an die Absprachen gehalten habe.

«Ich habe Ausschnitte meines Körpers gesehen, mit denen ich so nicht gerechnet habe», erzählt Paula Schramm. Sie sei im Film von Kopf bis Fuss nackt gezeigt worden, obwohl das so nicht vereinbart gewesen sei. Schramm ist danach aus dem Filmprojekt ausgestiegen. «Man hat dann versucht, mich emotional zu erpressen und mir Vorwürfe gemacht, ich zerstöre das Projekt.»

Zwei Männer und eine Frau in weissen Ärztekitteln
Legende: Das TV-Publikum kennt Paula Schramm etwa aus «In aller Freundschaft – Die Jungen Ärzte». IMAGO / STAR-MEDIA

Paula Schramm bezeichnet das Verhalten des Regisseurs als «sehr grenzwertig». Jetzt, seit der MeToo-Bewegung, werde bei solchem Verhalten genauer hingeschaut: «Heute gibt es Intimacy-Coaches.» Diese Intimitätskoordinatorinnen und -koordinatoren beraten und betreuen Darstellende und die Regie. So wird bei heiklen Szenen vermieden, dass sexuelle Übergriffe passieren, und sichergestellt, dass alles in einem sicheren Rahmen stattfindet.

Casting-Bühne war auch ein Filmset

Die Geschichte der jungen Schauspielerinnen endet nicht bei den Übergriffen. Aileen Lakatos und ihre Kolleginnen merken später, dass die Casting-Bühne auch ein Filmset war: Der Regisseur macht aus den Casting-Aufnahmen einen Film. «In diesem geht es um die Frage, wie weit Schauspielerinnen für ihre Karriere gehen», erzählt Aileen Lakatos im Interview.

Aileen Lakatos kämpfte 2018 gerichtlich gegen die Premiere des Films – mit Erfolg. Der Film wurde bis heute nicht gezeigt. Die Schauspielerin hat ihn jedoch gesehen. Im Film sehe man die Machtmissbräuche. «Gegen aussen sagen sie, das sei gespielt. Aber wir wissen ja, dass das nicht gespielt war», so Lakatos.

Fünf Frauen auf Theaterbühne
Legende: Fünf Schauspielerinnen erzählen in «The Case You» ihre Geschichte. MINDJAZZ PICTURES

Die fünf Schauspielerinnen aus «The Case You» und weitere Betroffene gingen vergangene Woche ein weiteres Mal vor Gericht. «Es gibt viele Filme in der Branche, in denen wahre Gewalt stattgefunden hat und die verurteile ich», sagt Isabelle Bartges – auch Teil von «The Case You». Deshalb fordere sie zusammen mit ihren Mit-Klägerinnen in einem Zivilverfahren, dass das Material gelöscht werde.

Regisseur lässt Fragen unbeantwortet

Die Schauspielerinnen haben ihr Ziel erreicht. Wie «SRF Investigativ» weiss, muss der Regisseur die Aufnahmen sieben Jahre nach dem Casting löschen und Schadenersatz zahlen. So entschied vergangene Woche das Bezirksgericht Brugg. «Ich bin froh, haben wir so lange durchgehalten», sagt Isabelle Bertges nach der Verhandlung erleichtert. Auch wenn dieser Erfolg die Übergriffe nicht rückgängig mache.

SRF versuchte den Regisseur und seine Produzentin seit Ende 2021 mehrmals telefonisch und per E-Mail zu erreichen, um ihm Fragen zu stellen und die Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen. Sämtliche Anfragen blieben unbeantwortet. Auch nach dem Entscheid des Gerichts wollte der Regisseur keine Fragen beantworten.

SRF 1, 10vor10, 11.4.2022, 21:50 Uhr

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