Letztes Jahr feierte der Marché du Film, das geschäftliche Pendant des Cannes Film Festival, einen Rekord: Knapp 13'000 Besucher tummelten sich tagsüber in den Katakomben des Festivalpalasts an der Croisette.
Sie schlenderten zwischen unzähligen Marktständen und diskutierten über künftige Projekte. Am Abend tanzten sie auf einer wilden Party und schlossen den nächsten Deal ab.
Puritanisch – mit wenig Emotionen
Dieses Jahr läuft alles ganz nüchtern ab. Die meisten sitzen in einem sterilen Raum vor dem Bildschirm. Auch Swiss Films musste die Strandatmosphäre von Cannes gegen Büroluft tauschen.
Die helvetische Promotionsagentur unterstützt Schweizer Filme im In- und Ausland. Catherine Ann Berger ist als Direktorin jedes Jahr in Cannes vor Ort. Doch nun hat Corona bekanntlich alles verändert.
Sie vermisse die Atmosphäre der Côte d’Azur, sagt aber: «Für den Markt ist Cannes online durchaus eine Chance. Er ist kürzer, er ist billiger. Die Vorstellungen finden im Netz in der jeweiligen Zeitzone statt. Die Konferenzen sind prägnanter und die Aufmerksamkeit ist da, weil man weniger abgelenkt ist.»
Kreative Verkäufer werden belohnt
Beim Weltvertrieb Beta Cinema beobachtet man hingegen, dass die Verleiher viel schneller ein Screening verlassen, wenn sie dieses online schauen.
«Wenn die Leute in einem Kinosaal sitzen, gehen die Leute später und nicht so schnell raus. Sie müssen durch die Bänke durch. Online ist es ein Klick, und man stoppt den Film», sagt Thorsten Ritter. Er ist bei Beta Cinema für den Verkauf und das Marketing zuständig.
Um dem etwas entgegenzuwirken, haben sie ein aufwendiges Video gedreht. Damit wollen sie den Verleihern ihre Filme schmackhaft machen. Die Strategie scheint aufzugehen: Noch bevor der Online-Markt zu Ende ist, konnten Thorsten Ritter und sein Team einige Filme verkaufen.
«Die Verleiher kaufen bei uns ein und haben Angebote gemacht. Wir konnten schon zu diesem frühen Zeitpunkt ein paar Deals abschliessen. Ich glaube, wir werden mit dem virtuellen Markt in diesem Jahr nicht schlechter abschneiden als im letzten Jahr», prophezeit Ritter.
Nischenfilme gehen unter
Gut möglich, dass nächstes Jahr in Cannes eine hybride Form stattfinden wird. Denn wenn man auf die richtigen Filme setzt, kann auch ein virtueller Markt erfolgreich sein.
Besonders schwer haben es auf einem solchen Markt allerdings die Arthouse-Filme. Diese brauchen ein kunstaffines Festivalpublikum, weil sie viel mehr als die ganz grossen Titel von den Emotionen und Gesprächen vor Ort leben.