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Trailer zu «Sleepless in New York»
Aus Kultur Extras vom 27.04.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 4 Sekunden.
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Film & Serien «Wenn man Liebeskummer hat, denkt man: Ich bin in der Hölle»

Der Schweizer Dokumentarfilmer Christian Frei hat in New York einen Film über Liebeskummer gedreht. Das Thema wurde im Dokumentarfilm bis jetzt kaum behandelt – umso grösser war die Herausforderung für den Filmemacher. Ein Gespräch.

SRF: Sie haben in unzähligen Kriegsgebieten gearbeitet, sogar im Weltall gedreht. Jetzt haben sie einen Film in New York über Liebeskummer gemacht. Was hat sie an diesem «weichen» Thema Liebeskummer fasziniert?

Christian Frei: Die Liebe beschert uns die schönsten, die wertvollsten, die tiefsten und die wunderbarsten Momente des Lebens. Aber gleichzeitig beschert uns der Liebeskummer eben auch die Hölle, die grauenhaftesten Momente des Lebens. Dieser Kontrast fasziniert mich. Es ist zudem ein universelles Thema, das es in jeder Kultur gibt. Ich glaube, das Bedürfnis, gespiegelt zu werden im Leben, ist universell. Was nützt einem Erfolg, Geld usw. wenn da nicht jemand ist, der einen reflektiert.

Über Christian Frei

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Legende: Keystone

Der 55-jährige Christian Frei ist ein Weltenbummler und hat mit seinen Filmen den Schweizer Dokumentarfilm nachhaltig geprägt. Sein Film «War Photographer» wurde 2002 für den Oscar nominiert. Für «Space Tourist» gewann er 2010 den renommierten Regiepreis am Sundance Filmfestival.

Filmporträt über Christian Frei in der Reihe «CINEMAsuisse»

Warum hat es so lange gedauert, bis der Dokumentarfilm dieses Thema überhaupt aufgegriffen hat?

Die Kulturgeschichte gäbe es gar nicht ohne das Thema Liebe. Ich glaube sogar, dass der Liebeskummer Schuld ist an den grossartigsten Werken der Kunst und Literatur – vielleicht auch des Films. Aber die Liebe direkt zu thematisieren, vor allem dokumentarisch, das heisst real authentische Momente zu suchen mit Menschen, die Liebeskummer haben – das ist eine Herausforderung und alles andere als einfach. Das ist intim. Das ist einsam. Das spielt sich in den Schlafzimmern ab. Und ich brauchte zusammen mit meinem Kameramann Peter Indergand sehr lange, um überhaupt eine Methode zu entwickeln, mit der wir dieses Thema überhaupt bewältigen konnten.

Ihre Filme «Space Tourist» und, «War Photographer» haben eine Art innere Reise, eine äussere Dramaturgie. Wie erzählt man den Liebeskummer in New York? War das für den routinierten Filmemacher Christian Frei einfach oder mussten sie wieder bei null beginnen?

Absolut bei null. Ich musste viel vergessen, was ich bis jetzt gelernt habe über das Dokumentarische. Letztlich ging es darum, Gedanken sicht- und hörbar zu machen. Wir haben dafür eine Methode verwendet, die sehr einfach ist: Wir haben die liebeskranken Protagonistinnen und Protagonisten ein Tagebuch schreiben lassen. Wenn wir mit ihnen einfach ein Interview gemacht hätten, hätte das ja die Einsamkeit durchbrochen. Dann interferiert man ja. Die Idee war, dass sie ihren Höllenzustand schriftlich bewältigen. Sie sollten einfach loswerden, was sie beschäftigt – in einem Online-Tagebuch mit sich selbst. Diese Einträge konnten nur sie, ich und meine Assistentin lesen. Wir waren aus Sicherheitsgründen involviert – Suizid ist beim Liebeskummer ja durchaus möglich.

Da waren also ein paar Dutzend Teilnehmer, die täglich mehrere Einträge verfassten. Das gab mir einerseits die Grundlage zur Auswahl der Protagonistinnen und Protagonisten. Andererseits gab es mir auch einen unglaublich tiefen Einblick in die Dynamik des Liebeskummers und in das konkrete Leben dieser Menschen, ohne dass ich zu sehr persönlich in Kontakt sein musste. Das wollte ich ja nicht.

«Sleepless in New York»

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Kaum eine andere Situation im Leben überwältigt und lähmt dermassen wie Liebeskummer. Christian Frei taucht in «Sleepless in New York» in die fiebrigen Nächte von Menschen ein, die soeben von ihrem Partner verlassen wurden. Der Film erkundet den unendlich schwierigen Weg aus der selbstzerstörerischen Besessenheit heraus hin zu einem neuen Selbst.

War die Zusammenarbeit mit den Protagonisten eine therapeutische Zusammenarbeit oder eine klare Regiezusammenarbeit?

Da gab es eine ganz klare Trennung. Ich hab mich nicht verbrüdert oder verschwestert. Das heisst, beim Skypen habe ich nie «Jöö» gesagt oder «Ja, das ist ganz schlimm». Aber natürlich war meine Haltung – zu signalisieren: Ich höre zu, ich lese eure Einträge – auch eine therapeutische Haltung. Und auch schon nur die Tatsache, dass da einer einen Film macht, und behauptet, Liebeskummer sei ein Zustand, den man dokumentarisch mal anschauen sollte und der auch zu bewältigen sei, hat den Leuten vielleicht schon eine Art Sicherheit gegeben oder sie zumindest zum Nachdenken gebracht. Denn wenn man Liebeskummer hat, denkt man immer: Das geht nie vorbei. Das bleibt ewig. Ich bin in der Hölle.

In diesem «Höllenzustand», den sie beschreiben, geben die Protagonisten auch sehr Intimes preis. Zum Teil fast zu Privates. Gleichzeitig denkt man: Würden sie das nicht zeigen, würde man das Extreme des Liebeskummers gar nicht sehen. Welche Gedanken hatten sie dabei?

Wir haben im Schnittraum unterschieden zwischen einer nicht privaten und privaten Intimität. Private Intimität heisst Namen, Geschichten, Erlebnisse in einer Bar usw. – das war zu 95 Prozent wirklich privat und schützenswert. Aber da gab es auch jene Momente, zum Beispiel als Alley sich daran erinnert, wie sie und ihr Ex-Freund erotische Videos gemacht haben. Das ist von höchster Emotionalität. Und natürlich geht es auch um Sex. Da hat jetzt mein Ex diese Videodateien von uns. Was macht er damit? Diese Frage schien mir nicht mehr privat. Da sah ich eine Bedeutung, eine Zerbrechlichkeit, eine Verwundbarkeit, die mich interessierte.

Warum wird gerade jetzt Liebe zum Thema im Dokumentarfilm?

Die Sehnsucht nach Liebe ist ja uralt. Die Kultur verändert sich, aber die Einsamkeit bleibt. Vielleicht wird die Einsamkeit sogar verstärkt durch Facebook und Co. Ich glaube, dass die Liebe jetzt wieder entdeckt werden kann, hat damit zu tun, dass wir definitiv Post-68er sind. Es ist eine Zeit, in der wir wieder hinschauen dürfen und nicht sofort denken müssen: «Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.» Das ist vorbei. Man steht wieder dazu, dass es auch verschiedene Systeme gibt. Wer sich schützen will vor der Liebe, kann Casual-Sex haben. Vielleicht hat er auch ein schönes Leben ohne Beziehung, aber halt nicht dieses Grossartige, dieses Wunderbare des sich Verliebens oder wie wenn man als Alliierte durchs Leben geht.

Die Sehnsucht nach der Zweisamkeit ist da und bleibt ewig. Ich glaube, das ist in uns drin. Und es braucht viel Erfahrung und viele Überlegungen, sich diesem Thema dokumentarisch anzunähern. Wie gesagt: Die Kulturgeschichte ist voll davon, aber eine direkte, dokumentarische Herangehensweise ist erst jetzt möglich, weil wir Neues erkunden wollen im dokumentarischen Kino. Das geht immer mehr ins Persönliche – das ist ein riesiges Feld, das es noch zu erforschen gibt. Mein Film ist ein erster vorsichtiger Schritt da hinein.

SRG-Koproduktion

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Die SRG ist Koproduzentin dieses Films.

Sie stellen New York vor allem mit der U-Bahn dar und mit einer sehr speziellen Aufnahmetechnik. Sie haben extra eine Linse entwickeln lassen. Warum?

Wir wollten die Intensität dieses Auf-sich-selbst-Zurückgeworfen-werdens zeigen. Das ist auch Liebeskummer: Man ist plötzlich konfrontiert mit sich selber. Man ist total allein. Das wird als Leid erlebt. Wir wollten diese Intensität des Gefühls da zeigen, wo New York am wenigsten einsam aussieht: In der U-Bahn, da wo alle aufeinander sitzen und doch komplett allein sind. Dazu wollten wir eine Art menschlichen Blick imitieren. Wir haben mit monatelangen Forschungen einen Spiegel entwickeln lassen, der zwei Brennweiten in einem Bild kombiniert. Das ist ein Novum in der Filmgeschichte. Das heisst, man sieht eine Person und es wird dann nahtlos immer weitwinkliger das Bild und schafft damit Einsamkeit. Mit diesem sphärischen Spiegel haben wir über Wochen hinweg in der New Yorker U-Bahn gedreht.

Warum New York?

New York ist ein ideales Labor. Und weil die Sozialisierung in den USA – bei allen Ressentiments, die wir gegenüber dieser Kultur haben – etwas Extrovertiertes hat. Und das ist schon eine Notwendigkeit. Da wird jemand verlassen, das Selbstwertgefühl sinkt in den Keller und da kommt der Christian Frei und will das festhalten fürs Kino. Einen Zustand, den die meisten Leute einfach nur verstecken wollen. Hier hat mir die amerikanische Kultur eine gute Grundlage geschaffen, glaube ich. Natürlich ist New York auch die Hauptstadt der Singles. Die sind ja alle ständig unterwegs. Alle denken, da gibt es noch was Besseres. Ich habe noch nie so viele wunderschöne Frauen getroffen, die mir verzweifelt gesagt haben: «Es gibt ja keine Männer». Ich habe nur gedacht: «Oh Gott!». Und natürlich es ist eine internationale Stadt: Das heisst, es gibt viele Ethnien und verschiedene sexuelle Ausrichtungen.

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