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Film & Serien «Whiplash» – Kunst kommt von Kopfnuss

In «Whiplash» spielt J. K. Simmons einen sadistischen Lehrer. Ihm zuzuschauen macht Spass. Weniger lustig ist, dass das mehrfach oscarnominierte Drama Mobbing als Erziehungsmethode verherrlicht.

Je besser der Bösewicht, desto besser der Film: Alfred Hitchcock hat es vorgemacht, und das Rezept gilt bis heute. Allerdings darf im Fall des mehrfach oscarnominierten Dramas «Whiplash» bezweifelt werden, ob der Leidensweg eines jungen Jazzdrummers wirklich einen so charismatischen Bösewicht verdient hat.

J. K. Simmons ist Terrence Fletcher, eine ehrfurchtgebietende Gestalt in den dunklen Korridoren einer New Yorker Musikakademie. Steht der Dirigent unangekündigt in der Tür, fliegen die Hoffnungen der Studenten hoch. Fletcher hat ein untrügliches Gespür für Talent, und wer sich sein Wohlwollen erspielt, darf mit einer steilen Karriere im harten Musikbusiness rechnen.

Perfider Pedant

Video
Trailer zu «Whiplash»
Aus Kultur Extras vom 17.02.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 3 Sekunden.

Simmons spielt den Dirigenten mit einer packenden Präsenz, einem Charisma, das sich auf die Zuschauer überträgt. Für seine Leistung hat der US-Amerikaner bereits einen Golden Globe gewonnen, für die Oscars ist er als bester Nebendarsteller nominiert. Dabei ist die Rolle ambivalent, um das Mindeste zu sagen: Beim geringsten Anzeichen von Unachtsamkeit rastet Fletcher aus und ergeht sich in minutenlangen Schmähungen.

Der Dirigent ist ein perfider Pedant, der seine Studenten mit Psychospielchen und Stimmungswechseln terrorisiert. Doch hat die Schikane Methode, Fletcher will die Musiker zu Höchstleistungen antreiben. Und er hat sich bereits ein neues Opfer ausgesucht, dem er diese besondere Form der Förderung angedeihen lassen will: Andrew, gespielt von Miles Teller.

Geprügeltes Genie

Der 19 Jahre junge Schlagzeuger will eines Tages zu den ganz Grossen im Jazz gehören. Umso heller ist Andrews Begeisterung, als Fletcher ihn probehalber in seine Band aufnimmt. Die Freude ist allerdings nur von kurzer Dauer: Schon in der ersten Probe wirft Fletcher einen Stuhl nach dem Drummer.

Andrew mit blutverschmierten Händen an einem Schlagzeug.
Legende: Üben, bis die Hände bluten: Der Schlagzeuger Andrew (Miles Teller) muss viel erdulden. Ascot Elite

Lassen sich Genies herbeiprügeln? Es scheint so, als wollte «Whiplash» diese Frage mit «Ja» beantworten. Die blutig gespielten Finger, die Angstzustände, der Verzicht auf Freunde und eine Freundin – all das hat im Zweitling von Regisseur Damien Chazelle seinen tieferen Sinn. Denn natürlich steckt in Andrew Grosses, das nur von einer fordernden Hand herausgeholt werden muss.

Glatter Hohn

So kippt das teuflische Sehvergnügen in sein Gegenteil: «Whiplash» deutet die Missbrauchsgeschichte in ein romantisch verklärtes Leiden an der Kunst um. Hatte man sich zunächst noch in den Film hineingelehnt, um nicht die kleinste Gemeinheit zu verpassen, wird man plötzlich selbst geohrfeigt. Es ist dem Psychodrama wirklich ernst damit, die übergriffigen Mittel des Lehrers zu verherrlichen.

Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, heisst es. Für die Kunst gilt das nicht. Zwar blickt der Jazz auf eine Reihe von selbstzerstörerischen Biografien zurück, tragische Existenzen, die trotz harter Schicksalsschläge Bleibendes erschaffen haben. Daraus aber eine Rechtfertigung für Mobbing abzuleiten, ist glatter Hohn.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.2.2015, 17.40 Uhr

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