«NieR: Automata» ist ein Spiel, das mich nicht auf Anhieb hatte. Grafisch ist es eine ziemlich farblose Angelegenheit, die niemanden umhaut (wäre da nicht dieses Fudi!). Hinzu kommt ein Plot, der an alte, kitschige Scifi-Streifen erinnert. Ein Kampfsystem, das mit drei Knöpfen auskommt. Und eine offene Welt, die mir im Vergleich zu anderen Open-World-Spielen höchstens ein müdes Schmunzeln entlockt.
Doch es beim ersten Eindruck zu belassen. wäre ein Fehler. Wer sich durch die trostlose Welt von «NieR: Automata» kämpft, der wird schon bald in einen regelrechten Rausch versetzt. Ein ausserordentlich actionreiches Spiel, bei dem Trostlosigkeit zum Konzept gehört. Das mit seinem ganz eigenen Japan-Chic und viel Charme für einen befriedigenden Fluss sorgt und bei dem man höchstens mal anhält, um nachzudenken. Über all die Fragen, die einem schonungslos um den Kopf geknallt werden.
Besser als ein kitschiger Scifi-Streifen
«NieR: Automata» spielt zeitlich lange nach dem ersten Teil der Serie aus dem Jahr 2010. Wer das Spiel kennt, versteht die Anknüpfungspunkte, der zweite Teil funktioniert aber auch wunderbar ohne Vorwissen.
Der Vorfilm macht klar: Aliens haben die Erde übernommen, die Menschheit ist darum auf den Mond ausgewichen. Von dort aus schicken die Menschen sogenannte YoRHa-Andoriden wie unsere Hauptfigur 2B auf die Erde, um die Aliens und die Maschinen, welche sie dort stationiert haben, zu bekämpfen und die Erde zurückzugewinnen.
Eine simple Geschichte in plumpster Scifi-Manier – mit andern Worten das perfekte Setting für einen Kampf, den es im Grunde nicht weiter zu hinterfragen gilt.
Doch «NieR: Automata» will mehr. Bereits zu Beginn der Geschichte treffen wir auf einen Roboter, der mit uns über Gott nachdenkt, und wenig später lernen wir Jean-Paul Sartre kennen, der uns in seine Theorie des Existenzialismus einführt.
Klar, die Dialoge sind nicht wirklich hochstehend und zu den Philosophinnen würde ich mich nach Sartres Einführung auch nicht zählen. «NieR: Automata» drückt bei mir trotzdem genau die richtigen Knöpfe, und bereichert zum Teil mit irrwitzigen, oft aber auch tiefgründigen Geschichten so manche «Hol mir dies, bring mir das»-Aufgabe.
Action-Role-Play-Game
An Action ist das Spiel kaum zu überbieten. Ständig geraten wir in spektakuläre Bosskämpfe und auch die kleinen Gegner erledigen wir mit unserem gigantischen Schwert und einer Kombo, die sich gewaschen hat.
Das Kampfsystem kommt dabei gerade einmal mit drei Knöpfen aus: schwerer Angriff, leichter Angriff, ausweichen. Wenn man schwere mit leichten Angriffen abwechselt, prescht 2B zu wilden Kombos vor. Diese muss man allerdings nicht mühsam erlernen. Mit etwas Gespür fürs Timing klappt das sozusagen intuitiv und macht richtig Spass.
Ausserdem finden wir gleich zu Beginn des Spiels einen Pod, einen Roboter, der mit uns fliegt und uns im Kampf unterstützt. Im Laufe des Spiels finden wir gleich mehrere dieser nützlichen Helfer, die alle über unterschiedliche Eigenschaften verfügen.
Die Macher bezeichnen das Spiel als Action-Role-Play-Game. Das ist zwar richtig, denn neben Action entwickelt sich auch unser Charakter 2B immer wieder überraschend weiter, doch ich finde Action-RPG ist fast schon ein bisschen tiefgestapelt.
Denn «NieR: Automata» schlüpft in viele unterschiedliche Gewänder. Immer wieder wechselt die Kameraperspektive. So wird aus dem fröhlichen Hack and Slay Moment innert Sekunden eine Top-Down-Bullet-Hell à la « Ikaruga » oder auch ein Endless Runner à la « Hyperburner ».
2B or not 2B
Im Zentrum der Geschichte steht die Androidendame 2B. Eine ziemlich knapp bekleidete Heldin, über deren Erscheinungsbild Direktor Yoko Taro nur meint: «Er liebe einfach schöne Frauen!» Damit scheint er nicht alleine zu sein, auch die Cosplay-Szene hat sich sofort in 2B verliebt.
2B ist darauf programmiert, ruhig und gelassen zu sein. Sie will oder kann deshalb keine Gefühle zeigen. Dass tief in ihr trotzdem welche schlummern, wird bereits am Anfang klar, als 9S aufttaucht, ein YoRHa, der uns bei unserer Mission helfen will.
Der Beziehungsstatus «es ist kompliziert» beschreibt dabei nicht einmal annähernd, was 2B und 9S miteinander haben. Das fängt allein damit an, dass sie gleich in ihrem ersten gemeinsamen Kampf gegen zahlreiche Goliaths den gemeinsamen Freitod wählen – die Selbstzerstörung, um sämtliche feindliche Einheiten mit in den Untergang zu reissen.
In der Hauptzentrale auf dem Mond werden die Daten der beiden dann in neue Körper geladen. Bei 9S läuft dabei ewtas schief, so dass er sich an nichts mehr erinnern kann. Viel mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden – es wäre ein Spoiler des ersten Endes dieser wunderbaren Geschichte.
Ein Grower! Selbst, wenn man ihn schon liebt
«Das erste Ende» ist richtig gelesen, denn «NieR: Automata» hat insgesamt 26 unterschiedliche. Fünf davon knüpfen an die Hauptgeschichte an. 21 weitere schlechte oder witzige Szenarien gibt es oben drauf. Dabei verdichtet jedes weitere Durchspielen die ganze Welt in diesem Spiel. Man könnte es auch so sagen, «NieR: Automata» wird mit jedem weiteren Durchgang noch besser!
Ein kleines Beispiel: «NieR: Automata» startet im ersten Anlauf mit B2, die als einzige YoRHa Soldatin im Kampf gegen einen riesigen Goliath überlebt. Als dieser in Flammen steht, taucht 9S in seiner Flightunit auf und erklärt, dass er bei unserer Mission helfen will.
Im zweiten Durchlauf starten wir mit 9S. Der wartet schon auf den Goliath und unterstützt 2B im Kampf aus der Luft – darum explodiert dieser Goliath auch urplötzlich, was wir beim ersten Durchlauf noch nicht so recht verstehen.
Mein Fazit lässt sich deshalb in einen Satz packen: «NieR: Automata» war erst nicht anmächelig, dann wurde es richtig gut und schliesslich noch besser – ich jedenfalls freue mich schon auf den dritten Durchlauf!
«NieR: Automata» kostet rund 70 Franken, ist ab 18 Jahren freigegeben und für die Playstation 4 und Windows PC erhältlich.