«Pyre» ist eine aussergewöhnliche Kombination aus einem Disneyfilm und einem emotionsgeladenen NFL-Spiel. Eine Indie-Perle der Macher von «Supergiant Games», die sich mit aussergewöhnlichen Konzepten und liebevoll gezeichneten Spielen bereits einen Namen gemacht haben.
Das hat uns gefallen:
- Grossartiges und liebevoll handgemachtes Art- und Sounddesign.
Das ist leider nicht ganz durchdacht:
- Schönes Storytelling, das zum Nachdenken anregt, sich aber zu viel Zeit lässt.
- Spannende und nervenaufreibende Sport-Events, die sich nur mühsam steuern lassen.
Das hat uns nicht gefallen:
- Unsere Entscheidungen haben kaum Auswirkungen.
- Bisher nur in englischer Fassung spielbar.
- Multiplayer lokal beschränkt.
Ein Spiel für Leseeulen
«Pyre» ist eine abenteuerliche Reise in die Freiheit, die mit drei maskierten Vertriebenen in einem Wagen und uns selbst beginnt. Dank einer ganzen Reihe von Dialogfenstern erfahren wir einzelne Bruchstücke unserer Vergangenheit. Aber vor allem erfahren wir, was uns von den übrigen Vertrieben unterscheidet: Wir können lesen!
«The Reader», nennen uns darum die Gefährten, deren Führer wir von nun an sind. Sie meinen damit unsere Fähigkeit, das «Book of Rites» zu lesen. Ein Relikt aus längst vergangenen Tagen, das uns – die Vertriebenen – in die Freiheit führen soll. Doch das Buch gibt seine Geheimnisse nur zögerlich Preis und so müssen wir erst einmal ein Dialogfenster nach dem anderen lesen.
Die eine Hälfte von «Pyre» könnte man damit auch als Text-Adventure beschreiben. In zahlreichen Plaudereien lernen wir ebenso zahlreiche Charaktere kennen. Manchmal dürfen wir gar entscheiden, wie das Gespräch verläuft. Doch auch wenn eine Spielfigur nach der anderen mein Herz gewinnt, nach stundenlangem lesen beginnen mich die Dialoge doch zu langweilen...
Klick, klick, klick – bald werden ganze Fenster übersprungen.
Entscheidende Freiheiten
Immerhin die handgezeichneten Bilder der Helden verlieren auch nach vielen Stunden ihren Zauber nicht. Ganz anders das viele Gerede. Bald stellt sich die Frage: Wozu das ganze?
Wo der Wagen unserer Gruppe entlang fährt oder wie die Vertriebenen die Pausen zwischen den langen Fahrten verbringen muss jeweils der Reader entscheiden – also wir. Klingt nach besten Voraussetzungen für ein Rollenspiel, bei dem wir Geschichte und Charaktere beeinflussen können, ist aber nichts anderes als Augenwischerei.
Die meisten Entscheidungen, die wir treffen bleiben ohne Folgen – oder laufen schlicht und einfach aufs selbe hinaus.
Der Weg im Norden hält einen Talisman für uns bereit, mit dem wir unsere Helden upgraden können. Der Weg im Süden wird uns einen wertvollen Gegenstand verschaffen, den wir beim Händler gegen einen Talisman eintauschen können.
Wozu das Ganze? Gehüpft wie gesprungen.
Klick, klick, klick.
Auch die Belohnungen gibt es nur nach dem Lesen von liebevoll getexteten Dialogfenstern und kleinen, wunderschönen Animationen.
Hier verschüttet «Pyre» viel Herzblut und mindestens so viel von seinem Potenzial. Denn obwohl die einzelnen Dialoge stets gut geschrieben und detailversessen animiert sind, wirken sie schon bald generisch:
Wir entscheiden uns für einen Weg auf der Karte, klicken uns durch Dialogfenster, finden einen Gegenstand, klicken uns durch weitere Dialogfenster bis, die Sterne sich aufreihen und ein sogenannter «Rite» bevorsteht. Damit wären wir auch schon bei der anderen Hälfte von «Pyre»: den mystischen Sportevents, die uns in die Freiheit führen sollen.
Eines schon mal vorneweg: Bei den allermeisten Rites macht es keinen Unterschied, ob wir verlieren oder gewinnen. Kein besonderer Ansporn für meinen Wettkampfgeist...
Lasst die Spiele beginnen
In jedem Rite treten zwei Dreier-Teams in einer Art mystischem Footballspiel gegeneinander an. Ziel ist es, das sogenannte «Pyre» (englisch für Scheiterhaufen) des Gegners auszulöschen, indem wir genügend Bälle in dieses Feuer schiessen. Damit das gelingt, müssen wir unsere Gegner bewegungsunfähig machen oder sie geschickt umspielen.
Lustigerweise kommen hier die Rollenspiel-Elemente am stärksten zum tragen. Denn es hängt sehr davon ab, welche Helden wir in unserem Team antreten lassen. Manche sind bereits erfahrene Kämpfer, die sich auch schon mit Talismanen und Upgrades ausgerüstet haben. Neue Gefährten sind hingegen unerfahren.
So oder so gilt: Grosse Charaktere bewegen sich langsamer, haben dafür eine grössere Aura, welche die Gegner beschädigen kann. Sie ziehen dem Pyre auch mehr Punkte ab. Für kleine Figuren gilt genau das Umgekehrte. Hinzu kommen Spezialfähigkeiten aller Art: Beflügelte Charaktere können fliegen, Würmer wiederum graben sich im Boden ein.
Ein grundsätzlich vielversprechendes Setup, das von einer sarkastischen Kommentatoren-Stimme komplettiert wird. Doch leider sind diese Rites nicht besonders gut durchdacht –und das, obwohl sie den eigentlichen Kern des Spiels darstellen.
Das liegt zuerst an der Steuerung: Gerade beim PC fällt sie wenig intuitiv aus – man kann sie zwar im Menü umstellen, eine wirklich geschickte Lösung habe ich bisher allerdings noch nicht gefunden.
Das Schwierigste ist es, seinen Charakter zu wechseln. In den hektischen Rites verliert man damit viel Zeit und gerne auch die Übersicht. Darum ist die erfolgreichste und einfachste Strategie der Alleingang: Gefährliche Gegner ausser Gefecht setzten, Ball festhalten und mit einem Sprint ab ins Feuer.
Naja – Teamsport geht vermutlich anders. Nichtsdestotrotz können wir auch so ein paar spektakuläre und haarscharfe Action-Szenen erleben.
Die Frage bleibt: Wozu das ganze? Denn einerseits ist es meist nebensächlich, wie gut wir in den Rites abschneiden. Und andrerseits ist der Ansporn, die Steuerung und das Zusammenspiel der Charaktere irgendwann zu beherrschen, ziemlich klein – weshalb Teamplay üben, wenn wir im Alleingang einen herrlichen Homerun hinkriegen?
Doch um wieder auf die Kernfrage des zurückzukommen: Was bedeutet eigentlich Freiheit? Wie erlangt man sie? Alles Dinge, die wir aus dem «Book of Rites» und auf unserer langen Reise erfahren und die einen interessanten Twist in das Spiel bringen.
Wenn Indie-Herzen höher schlagen
Die Macher von «Pyre» sind in der Indie-Game-Szene kein unbeschriebenes Blatt. Für ihren Traum von besseren Spielen haben Amir Rao und Gavin Simon ihren sicheren Job bei Electronic Arts gekündigt und ihr eigenes Indie-Studio namens «Supergiant Games» gegründet. Und bereits mit seinem ersten Spiel, «Bastion», konnte das kleine Entwicklerstudio aus L.A. 2011 hohe Wellen schlagen.
«Bastion» war ein umjubelter Fantasy-Shooter auf einer schwebenden Insel. Handgezeichnet und mit viel Liebe zum Detail hatten Rao und Simon ihre Vision spielbar gemacht. Der einzig Festangestellte neben den beiden Gründern war damals Darren Korb: ein Musiker der sich um die auditiven Inhalte des Spiels kümmerte.
Die möglichst künstlerische Umsetzung ihrer Ideen steht bei Supergiant Games im Vordergrund. Das zeigen sie auch mit auch «Pyre» wieder, ihrem mittlerweile dritten Spiel. Selten zuvor habe ich ein so bezauberndes Spiel gesehen – nicht nur in Sachen Grafik, sondern auch was die Musik und die liebevoll ausgearbeiteten Dialoge angeht – «Pyre» hat etwas Mystisches.
Die Idee ein hochphilosophisches Thema wie die Frage nach dem Wesen der Freiheit mit einem Sportspiel zu kombinieren ist ebenfalls aussergewöhnlich.
Die Umsetzung dieser Kombination fällt allerdings zu Lasten beider Spielteile aus. Denn Sportspiel-Fans werden in «Pyre» die Präzision und auch die ausgeklügelte Mechanik von «FIFA» oder «NHL» vermissen. Rollenspiel-Fans wiederum dürften – angesichts der geringen Tragweite ihrer Entscheidungen – ebenfalls anderes gewohnt sein.
Zwei Hälften, die zusammen leider nicht mehr sind als die Summe ihrer Teile – im Gegenteil.
Fazit: Wer gerne ein wunderschönes und liebevoll gemachtes Spiel von einem kleinen kreativen Studio mit aussergewöhnlichen Ideen haben will, der ist mit «Pyre» sicher nicht schlecht beraten. Wer eine sportliche Herausforderung oder ein packendes Rollenspiel sucht, lässt besser die Finger davon.
Pyre kostet ca. 20 Franken, ist am 25.Juli für Playstation 4 und Microsoft Windows erschienen und hat eine Spieldauert von ca. 15 Stunden.