Es gibt einen neuen Hoffnungsschimmer am Horizont der Simulationsfans, dessen Genre-Thron seit 1994 unangefochten von « Transport Tycoon » besetzt wird. Eine Wirtschaftssimulation, in der man ein Transportunternehmen mit Schiffen, Strassenfahrzeugen, Flugzeugen, aber vor allem Schienenfahrzeugen aufbaut.
« Transport Fever » ist das neuste und überaus ehrgeizige Projekt des neunköpfigen Schweizer Studios Urban Games . Das kleine Team will damit das Genre besser beziehungsweise moderner machen – eigentlich eine schier unmögliche Aufgabe mit so wenig Ressourcen und einem Budget, das in etwa so überschaubar ist wie deren Erfahrung.
Trotzdem haben sie es jetzt bis an die internationale Chartspitze der Spieleplattform Steam geschafft. Simulationsspiele sind also immer noch sehr gut nachgefragt. Das bestätigt uns auch Tom Schrettl, Product- und Community-Manager von Urban Games.
Melke die Kuh, so lange sie Milch gibt
Bereits 2014 ist dem Schaffhauser Studio mit « Train Fever » ein Überraschungserfolg gelungen. Natürlich habe man sich das Ganze damals gut überlegt, den Markt beobachtet und festgestellt, dass die Konkurrenz gerade nicht so gut aufgestellt sei. Ein Spiel entwickeln heisst auch immer, ein grosses finanzielles Risiko einzugehen. Dennoch hätte niemand im Team damit gerechnet, dass sie schon in der ersten Woche 20'000 Stück des Spiels verkaufen würden.
Das aktuelle Spiel «Transport Fever» hat sich sogar fast 4 Mal besser verkauft. Die Milchbüchleinrechnung der ersten Verkaufswoche geht so: 70'000 verkaufte Spiele à 33.50 Franken = 2'345'000 Franken. Ein schöner Betrag, den sich die Schaffhauser aber noch mit der Spieleplattform Steam, dem Publisher Gambitious Digital Entertainment und diversen Investoren teilen müssen.
Wer genau wie viel erhält, darf Tom Schrettl aus vertraglichen Gründen nicht sagen. Nur so viel verrät er gut zwei Monate nach dem Release schelmisch: «Es hat sich bereits gerechnet».
Die «Milch» wird nicht ewig fliessen
Was nach viel Geld klingt, muss allerdings differenziert betrachtet werden. Wenn das Spiel auf dem Markt ist, heisst das für die Entwickler noch lange nicht, dass sie nun die Beine hochlegen können. Im Gegenteil: Mit sogenannten Patches müssen sie Probleme ausmerzen und allfällige Wünsche der Spieler berücksichtigen. Für ihren Erstling haben die Schaffhauser Entwickler fast zwei Jahre lang gratis solche Patches nachgereicht.
Wie lange die Nachbetreuung bei «Transport Fever» dauern wird, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Auch wolle man noch nicht versprechen, dass auch in Zukunft alle Zusatzinhalte gratis sein werden.
Nur eines steht für Tom schon zum jetzigen Zeitpunkt fest: Den Verkaufspeak hat man mittlerweile überschritten und bis in alle Ewigkeiten wird man auch in Schaffhausen nicht vom Zweitling leben können.
Die Geburt respektive Entwicklung der nächsten «Kuh» dürfte also nur eine Frage der Zeit sein.
Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter
Geld wird nicht endlos fliessen, aber die Lebensdauer von «Transport Fever» kann im Idealfall unbegrenzt sein, denn Simulationsfans sind begeisterte Modder: Zivile Hobbyspieleentwickler, die Erweiterungen beziehungsweise Veränderungen für bereits veröffentlichte Spiele programmieren und zur Verfügung stellen.
Dabei kann man nicht nur den Fuhrpark um unendlich viele Modelle erweitern, sondern auch ganze Bahnhöfe neu gestalten, Gebäude oder gleich ganze Karten selbst programmieren und sich sogar eine neue Kampagne ausdenken. Eine Win-Win-Situation: Macher und Spieler profitieren gleichermassen.
Wovon sprechen wir bei «Transport Fever» eigentlich?
Es ist kein Spiel für jedermann. Wer sich darauf einlässt, weiss, dass Simulationsspiele einen ziemlich grossen Brocken Arbeit bedeuten und vom Spieler jede Menge Disziplin und Organisationstalent abverlangen. Während wir uns in einer Wirtschaftssimulation wie dem Klassiker «Sim City» eher um die Makroprozesse einer ganzen Stadt kümmern, steigen wir in «Transport Fever» auf die Mikroebene hinab.
Wie der Name verrät, rückt der Transport ins Zentrum, deshalb generiert das Game Städte kurzerhand selber – automatisch. Auch wenn es in der Entwicklungsphase noch Versuche gab, den Städtebau zu integrieren, mussten sich die Entwickler wegen ihrer Ressourcenknappheit einschränken und ihren Fokus schlussendlich auf den Transport legen. Im fertigen Spiel der Schaffhauser sind wir nun lediglich für den Strassen- und Schienenfahrzeuge verantwortlich und für den Bau von Häfen und Flughäfen.
Das führt uns zurück zu «nicht für jedermann». Gerade Liebhaber von Städtebau-Klassikern wie «Sim City» oder «Cities Skylines» werden dieses ganzheitliche stadtplanerische Element vermissen.
An dieser Stelle möchte ich mich als eben solchen Liebhaber outen und anfügen: Gerade weil der Verkehr mit all seinen Buslinien, Tunnelwegen und Metrostationen so eine grosse Rolle in «Cities Skylines» spielt – weil sonst die ganze Grossstadt kollabiert – hat es mir so gut gefallen.
Wer allerdings Punkto Verkehr noch einen Schritt weiter gehen möchte, als es diese Klassiker zulassen, für den könnte «Transport Fever» der geeignete Spielplatz zum Austoben sein.
Logistik-Kurs für Anfänger
So wird «Transport Fever» in ein paar Einzelfällen sogar als Unterrichtsmaterial für Logistikkurse verwendet, wie Community Manager Tom erzählt. Doch auch die zivilen Spieler schätzen die Herausforderung, die das Spiel aufgrund seiner Komplexität und Detailversessenheit darstellt.
Was oft auch noch mitschwingt, meint Tom, sei der Modelleisenbahnfaktor. Viele «ferrophile» Anhänger der Serie verbringen Stunden damit, ihre Schienen ästhetisch zu verlegen und den Zügen beim Losdampfen zusehen.
Die meisten Spieler seien Männer in den 20ern oder 30ern, die mit Simulationsspielen in den 90ern gross geworden sind. Aber eigentlich ist alles mit dabei, wie Tom weiter erzählt. Vom Familienvater, der für seine Kinder spielen «muss», weil diese gerne zusehen, bis zum pensionierten Lockführer, der sich in Nostalgie suhlt.
Haters gonna hate
Natürlich sind nicht alle gleichermassen vom Transport-Fieber infiziert. Auf Steam liest man auch bitterböse Reviews von enttäuschten Spielern. Tom Schrettl kennt mehrere Gründe.
Allen voran: Das Spiel sei natürlich nicht perfekt. Manchmal erkläre sich das Spiel einfach zu wenig genau. Wenn Spieler deshalb nicht weiterkommen und ihr Transportnetzwerk ins Stocken gerät, werde das als Fehler des Spiels gewertet. Ob dem auch so ist, sei fraglich. Das Entwicklerstudio gebe sich jedoch alle Mühe, diesen Punkt mit Patches nachzubessern.
Zum Teil interpretiere er die bösen Kritiken auch als indirektes Kompliment an den Spielern dieses Genres. Er wolle damit die negativen Reviews nicht schönreden, aber oft sei es so, dass Simulationsfans sehr leidenschaftliche Spieler seien, die nichts weniger als das allerbeste Spiel erwarteten. Diesen hohen Ansprüchen könne das kleine Studio leider nicht in allen Fällen gerecht werden.