Das Leben als Teenager ist hart, besonders für Kwaku Ananse: Die Hauptfigur in «Persona 5» wollte einer Dame in Nöten helfen und ist nun selber zum Täter geworden, so die Anschuldigung. Resultat: Er wird von seiner Kleinstadt nach Tokyo versetzt, ist auf Bewährung und muss dort zur Schule.
Psycho-Paläste infiltrieren
Gleichzeitig ist er der heimliche Auserwählte: Als Trickster-Figur mit dem Namen «Joker» muss er in eine Art Zwischenwelt reisen und dort herrschendes Unrecht tilgen. Denn vor allem Personen in Machtpositionen verfügen über einen eigenen Palast: Ein Spiegelbild ihrer Psyche, in der ihre entsetzlichsten und abgründigsten Begehren lauern.
Ananses Aufgabe ist nun, sich zusammen mit seinen Freunden in die Paläste zu stehlen und dort jeweils den innersten Schatz zu heben. Mit dem Resultat, dass die Bösen sich ihrer Irrungen bewusst werden, alles bereuen und auf den rechten Pfad zurückfinden. Als ersten Palast infiltrieren wir den des Sportlehrers Suguru Kamoshida. Ein sadistischer Grüsel, der seine Schüler malträtiert und die Schülerinnen sexuell belästigt.
Masken und Schulleben
Bis wir aber den Schatz von Kamoshida heben können, müssen wir viele Gegner bewältigen. Schaffen wir es, sie zu umzingeln, überlassen sie uns manchmal ihre Persona – eine Maske, die ihr innerstes Selbst vor der Aussenwelt schützt. Und da Kwaku Ananse nun einmal speziell ist, kann er gleich mehrere dieser Masken in sich tragen und je nach Situation hervornehmen. Jede dieser Masken verleiht ihm verschiedene Fähigkeiten, die uns Vorteile in den Palästen, aber auch im Alltagsleben verschaffen.
Schliesslich führen wir das klassische Doppelleben eines jeden Teenager-Traums: Im Alltag Schüler, in der Freizeit Weltretter. Das natürlich alles inkognito und mit Top-Schulnoten, bitte. Denn «Persona 5» ist nicht nur ein japanisches Rollenspiel, in dem wir durch Gewölbe schleichen. Das Game ist auch eine soziale Simulation, in der wir die tägliche Qual von fiesen Lehrern, coolen Kumpels, sexy Mitschülerinnen und nervigen Betreuern managen müssen.
Deadlines!
«Zeitmanagement» umschreibt diesen Schüleralltag am besten: Wir haben nicht ewig Zeit, die Paläste zu infiltrieren. Doch wir sind nur erfolgreich, wenn wir unser Sozialleben nicht vernachlässigen – «Persona 5» als durch und durch japanisches Game legt sehr viel Wert darauf, dass wir uns sozial konform verhalten und Beziehungen pflegen. Selbst wenn wir also in unserem Innersten eine Trickster-Figur sind, müssen wir uns im japanischen Alltag unserer Rolle entsprechend verhalten und Freundschaften schliessen.
Je mehr Zeit wir mit unseren Vertrauten verbringen, in der Schule aufpassen und sinnvollen Aktivitäten nachgehen (Bücher lesen, die Zimmerpflanze pflegen, lernen), desto besser werden unsere Fähigkeiten. Nur gemeinsam sind wir also stark und können die Palastschätze erfolgreich heben.
Gerade diese Balance ist knifflig: Wir müssen unser Schul- und Sozialleben verfolgen, dabei die Deadline nicht verpassen, bis wann ein Schatz gestohlen werden muss. Bis zum ersten kritischen Datum haben wir zwei Wochen Zeit, um Kamoshidas Palast erfolgreich zu infiltrieren. Ein Kalender zeigt uns dabei penibel an, wie unser Alltag aussieht – inklusive Feiertage, Prüfungen und Teilzeitjob.
Und das ist der Punkt, an dem dieses Review sich in zwei Personae aufteilt, denn all das hinterliess beu mir einen sehr zwiespältigen Eindruck.
Persona: Gamejournalistin Sieber
«Persona 5» ist komplex. Und verdient deshalb grösste Bewunderung.
Soziale Simulation, japanisches Rollenspiel, High-School-Erzählung, Dungeon-Crawler: Entwickler Atlus gelingt das glanzvolle Kunststück, all diese Genres erfolgreich miteinander zu verschränken, ohne dass wir überfordert werden. Schritt für Schritt werden wir behutsam an die komplexe Welt herangeführt. Das Game nimmt sich Zeit (sechs Stunden!), bis wir alle Mechaniken gelernt haben und selber so richtig loslegen dürfen.
Die Persona-Reihe gilt als schwierig zu meistern. Dank der sorgfältigen Einführung ins Game gelingt es «Persona 5» aber, dass selbst Einsteigerinnen wie ich mit dem Game und seinen Mechaniken vertraut werden.
Dazu kommt: «Persona 5» ist ein wirklich schönes Game. Wir retten die Welt, aber mit Stil. Als Grundthema dominieren Rot, Schwarz und Weiss im Comicstil. Tokyo ist eine abstrahierte Welt, die an die «Borderlands»-Reihe und die «Telltale»-Games erinnert.
Andererseits bilden die Paläste, die wir erkunden, einen spannenden Kontrast zur Comicwelt von Tokyo. Sie sind voller kreativer Ideen, wie eine Psyche als erfahrbare Welt aussehen könnte – Disneys « Inside Out » lässt grüssen. Kamoshida marschiert etwa nur in Pantoffeln, Unterhosen und Herzchen-Morgenmantel durch «seinen» Palast.
Persona: Gamerin Méline
Mein Alltag besteht darin, Arbeit, Privatleben und sonstige viele Verpflichtungen irgendwie unter einen Hut zu bringen – kluges Zeitmanagement. Was soll ich also mit einem Game, in dem ich genau dasselbe machen und mich ständig entscheiden muss: Besser Pflanzen giessen, mit Kumpel Ryuji abhängen oder brav in der Bibliothek lernen? Der Tag hat nur 24 Stunden – ein Game, das mir das vor Augen führt, brauche ich dazu nicht.
Das wäre eigentlich erträglich, wenn mich das Game nicht ständig an der kurzen Leine hielte: Geschlagene sechs Stunden dauert es, bis mir «Persona 5» etwas mehr Freiheiten lässt, ausserhalb von Klick-Dialogen, Tutorials und Zwischensequenzen. Sechs Stunden, in denen es mir immer wieder die Zügel entreisst, sobald ich nur den Frühlingshauch von Freiheit erschnuppere. Sechs Stunden – wie war das nochmal mit dem Zeitmanagement?
«Persona 5» steckt letztlich enge Handlungsräume ab, gibt mir aber das Gefühl absoluter Entscheidungsfreiheit – als könnte ich doch irgendwie das Leben von Kwaku Ananse bestimmen. Aber vielleicht ist das ja das typische Teenagerleben.
Ein zwiespältiges Game
«Persona 5» hinterlässt mich ebenso gespalten wie die Hauptfigur mit ihren Personas: Die private Gamerin in mir war nicht begeistert. «Persona 5» war zwar interessant, strapazierte aber arg meine Geduld. Sogar wenn das Speichersystem und sonstige bisher unerwähnte Mäkel nicht gewesen wären.
Andererseits: Die Gamejournalistin in mir ist begeistert! Das Aussehen, das hybride Game-Genre, das Japan-Gefühl – «Persona 5» macht unglaublich vieles richtig und führt uns behutsam an das komplexe Persona-Universum heran. Aus dieser Sicht sind auch die sechs Einführungsstunden zu verzeihen.
Der Entwickler Atlus schafft das Kunststück, soziale Simulation und japanisches Rollenspiel miteinander zu verschränken. Wer sein Zeitmanagement im Griff hat und über die hundert Stunden verfügt, die das Game an Spielzeit verlangt, wird mit «Persona 5» sehr, sehr viel Spass haben.
«Persona 5» läuft auf der PS4 und PS3; es ist ab 16 Jahren.