Über South Park kicherten wir auf dem Schulhof und es war der Schrecken aller Eltern – und trotzdem habe ich bis heute nur wenig Folgen gesehen. Lustig waren sie allemal, denn South Park sagte alles, was sonst niemand wagte.
Zwanzig Jahre später: Die Provokationen von «South Park: The Fractured But Whole» erzeugt bei mir ein knappes, müdes Lächeln.
Coon and Friends
Im Game sind wir Teil von «Coon and Friends», der Superhelden-Gang unter der Leitung von Eric «The Coon» Cartman, dem dicken Jungen aus der TV-Serie, der nun im Waschbären-Heldenkostüm die Heldentruppe anführt. Ziel: Heroisch verschwundene Katzen retten, um endlich eine eigene Superhelden-Franchise zu erhalten. Bald retten wir nicht mehr Katzen, sondern sind einer noch grösseren Verschwörung auf der Spur: «Coon and Friends» retten die Welt (mindestens)!
Elegant führt uns also das Game vom letzten Teil, «The Stick of Truth» (2014) und seiner Fantasy-Persiflage, hin zu «The Fractured But Whole», einer Superhelden-Persiflage. In «Coon and Friends» spielen wir erneut «The New Kid», ein Kind ohne Eigenschaften und ohne Geschichte. Im Verlauf des Games gewinnt es an Fähigkeiten und wir erfahren etwas über seine Vergangenheit. Etwa das biographische Detail «Your Dad fucked your Mom» (jetzt bitte lachen).
Die Grundmechanik von «The Fractured But Whole» ist ein rundenbasiertes Rollenspiel. Wir erfüllen Missionen, erhalten neue Fähigkeiten, kämpfen mit Fürzen und anderen Tricks gegen betrunkene Nachbarn und Sexarbeiterinnen. Doch die Kämpfe sind keine Herausforderung, die Aufträge oft banale Sammeleien und Hol-Aktionen, das Kampfsystem intransparent.
Das grössten Problem aber: Der Witz.
Witzlos
Die TV-Serie «South Park» schockiert(e). Mit Fäkalwitzen, Hieben gegen Sexualität, Religion, Ethnien, gegen Schwule, Behinderte, Juden, pädophile Priester – South Park ist bekannt dafür, die Dinge beim Namen zu nennen. Nichts ist heilig, und via Schockhumor wird oft implizit Kritik geübt. Die Serie kommentiert so aktuelle Ereignisse: Die South-Park-Folge vor der Veröffentlichung des Games (Staffel 21, Episode 4) kritisierte etwa Mark Zuckerberg, dass dieser jede Kritik an sich abprallen liesse. Auch Harvey Weinstein kam zum Zug und die Vorwürfe, er habe Frauen sexuell belästigt.
Diese Art von Humor lässt sich jedoch nicht auf ein Game übertragen. Zu lang sind die Entwicklungszyklen, als dass die Macher auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmen könnten.
Doch auch bei gesellschaftlichen Themen funktioniert der South-Park-Humor als soziale Kritik im Game nicht. Der Schwierigkeitsregler veranschaulicht das am besten: Wenn wir zu Beginn unsere Figur erstellen, können wir mit Hilfe eines Schiebereglers die Hautfarbe einstellen. Damit legen wir gleichzeitig auch fest, wie schwierig das Game zu spielen ist: weiss ist einfach, schwarz ist schwer. Das gab im Vorfeld zu reden – doch letztlich wirkt sich das überhaupt nicht auf den Rest des Games und seine Geschichte aus. Die Idee bleibt oberflächlich, so, wie sehr viele andere.
Zahnlos
Vor zwanzig Jahren erregte «South Park» mit all dem Aufsehen, was andere nicht zu sagen wagten. Doch was damals schockierte, verfehlt heute seine Wirkung. Das Internet hat den Tabubruch auf ein neues Niveau gehoben. Beispiel: 4Chan. Ursprünglich ein Forum für Anime und Manga, entwickelte es sich zu einem Generator für Internetkultur (« Tits or GTFO », Rickrolling , Lolcats ). Und, zusammen mit anderen, ähnlichen Foren, zu einem Ort, an dem der Tabubruch zum guten Ton gehört: Was alle Grenzen der politischen Korrektheit, des guten Geschmacks und des Anstands übertritt, ist sexy.
4Chan und Konsorten übertreffen mit ihrem Schockhumor alles, was früher in «South Park» in irgendeiner Weise anstössig galt – bis hin zur kompletten Abstumpfung. Das ist ein Grund, weshalb mich die Witze in «The Fractured But Whole» kaum zum Lachen brachten: Alles schon gesehen und noch viel mehr.
Alt-Right: Krasser als South Park
Gleichzeitig wurde «South Park» von der Zeit eingeholt: Die Foren, deren Inhalte explizit mit Tabus brechen, waren ursprünglich apolitisch und sexy. Doch die Alt-Right-Bewegung hat den Tabubruch für sich beansprucht, die extreme Rechte bedient sich heute ebenfalls denselben Mitteln. Eine der bekanntesten Figuren war hier etwa Milo Yannopoulos , der jedoch aufgrund einer (doch) zu krassen Äusserung von der Bildfläche verschwunden ist. Heute lässt sich letztlich nicht mehr erkennen, ob es sich bei einem Tabubruch um eine apolitische Provokation oder eine ernstgemeinte Aussage handelt.
Beispiel: «Pepe the Frog». Pepe nahm seinen Anfang als Internet-Meme, wurde dann aber von Trump-Befürwortern vereinnahmt. Seit der Antisemit und extreme Rechte Richard Spencer den Frosch am Revers trägt, distanziert sich sein Erfinder von der Figur. Damit nicht genug. Zwischen dem letzten «South Park»-Game (März 2014) und «The Fractured But Whole» (2017) liegen Ereignisse wie Gamergate (Herbst 2014) und ein US-Präsident, der mit « grab ‘em by the pussy » seinen Umgang mit Frauen auf den Punkt brachte.
Vergebene Chance
«South Park: The Fractured But Whole» ist für die hartgesottenen South-Park-Fans ideal: Wieder bewegen wir uns durch South Park, sehen bekannte Figuren, sitzen auf Klos und jonglieren mit Fürzen und anderen Fäkalwitzen. Doch der Humor verpufft, die Witze bleiben oberflächlich und zahnlos. Ein Game für echte Fans.
Immerhin, es gibt auch Glanzmomente: Dann, wenn die Kinder aus ihrer Spielwelt zurück in die Realität geholt werden, ein Auto den Kampf unterbricht, die Mutter sie aus der Superheldenrolle ins Bett ruft, «The New Kid» einsam Abendbrot isst. Aber all das kommt nicht an das Gefühl heran, das «The Fractured But Whole» zu viele Chancen zugunsten eines Stils vergibt, der leider von der Realität eingeholt wurde.
Das Game läuft auf Windows, der PS4 und Xbox One. Es ist ab 18 Jahren.