Auf dem Unterarm von Beatriz Hörmanseder steht das Gebäude noch: Ein Tattoo zeigt in feinen schwarzen Linien die Fassade im neoklassischen Stil, drei Stockwerke, hohe Fenster, Balustraden, flankiert von zwei imposanten Seitenflügeln. Es ist der ehemalige Arbeitsplatz der brasilianischen Paläontologin.
Darunter steht die Nummer MN 7712-V. Sie steht für ein über 110 Millionen Jahre altes Krokodil-Fossil aus dem nordbrasilianischen Bundesstaat Ceará.
Hörmanseder hatte es mit Säure, Pinsel und Zahnstocher aus dem Gestein befreit, überzeugt, dass es sich um eine noch unbekannte, neue Spezies handelte. «Drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Drei Jahre, die dann in Flammen aufgegangen sind.»
Es ist der Brand, der Brasiliens Nationalmuseum, die wichtigste Sammlung für Naturkunde und Ethnologie ganz Lateinamerikas, zerstörte.
Das Archiv umfasste 20 Millionen Exponate, darunter die Schädelknochen von Luzia, dem 12.000 Jahre alten Fossil eines Homo Sapiens. Der über 5 Tonnen schwere Meteorit Bendego. Und ein Archiv mit Tonaufnahmen längst ausgestorbener indigener Völker.
2018 feiert das Museum sein 200-jähriges Bestehen – dann kam die Nacht des 2. September.
Feuerwehr ohne Wasser
Das Feuer bricht nach Besuchsschluss aus, Sonntag um etwa 19 Uhr. Als der Museumsdirektor Alexander Kellner zwei Stunden später zum Museum kommt, brennt es bereits lichterloh.
Die Feuerwehr steht hilflos daneben, erinnert sich Kellner: «Sie hatten kein Wasser! Die Hydranten funktionierten nicht.» Gemeinsam mit Kollegen rennt Kellner los, doch viel können sie nicht mehr retten. In nur wenigen Stunden sind Millionen Jahre Geschichte verbrannt. Zu Asche, zu Staub.
Das sei eine Metapher für den Zustand der Stadt, ja des ganzen Landes, findet nicht nur die Wissenschaftlerin Tatiana Roque. Bereits 2013 habe das Museum eine dringende Renovierung beantragt, doch während Abermillionen in die Stadien der Fussball-WM flossen, wurde bei Wissenschaft und Kultur gekürzt.
Dahinter stecke ein bewusstes Missmanagement: «Es gibt kein Interesse an unserer Kultur, an unserer Geschichte und am kollektiven Erinnern.»
Solidarität aus dem Ausland
80 Prozent der Sammlung fielen dem Brand zum Opfer: Die Meteoriten konnten gerettet werden, die botanische Sammlung, Dinosaurierskelette und ägyptische Mumien. All das muss restauriert werden.
Umgerechnet rund fünf Millionen Franken – teils vom Staat, teils aus Spenden – stehen bisher für den Wiederaufbau vor allem des Gebäudes bereit, sowie für Vorprojekte neuer Ausstellungen.
Kellner hofft, dass das Museum 2024 seine Türen öffnen kann.
Es ist nicht nur die Sammlung, die ihr Zuhause verloren hat, auch die Forscher selbst. 90 Wissenschaftler, über 200 Techniker, 500 Studierende wie Beatriz Hörmanseder.
«Wir haben alle viel geweint», sagt sie, «aber es gab auch eine grosse Solidarität.» Ein Stipendium vom Smithsonian Institut ermöglichte ihr, ihre Arbeit in den USA fortzusetzen – wenn auch mit neuem Forschungsmaterial.
Der Verlust von MN 7712-V, ihrem ersten Fossil wird sie für immer begleiten. Als Tattoo, eingeschrieben in ihre Haut. Inzwischen ist daraus ein ganzes Projekt entstanden: « Museu na Pele », zu Deutsch: Museum auf der Haut.
80 Professoren, Beamte und Studenten haben bereits mitgemacht, erzählt Hörmanseder: «Für viele ist es das erste und wahrscheinlich auch einzige Tattoo in ihrem Leben.»