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125 Jahre Nationalbibliothek Nationalbibliothek: Das Eldorado für Schweizer Geschichte

Am 2. Mai 1895, nimmt die Schweizerische Nationalbibliothek ihren Betrieb auf – und verhilft dem jungen Bundesstaat zu einer eigenen Identität.

Die Nationalbibliothek in Bern ist ein Fundus für alle, die sich für die Schweiz interessieren. Über ein Jahrhundert lang schon sammelt sie alles, was über die Schweiz publiziert wird: Millionen von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und Tondokumenten.

Die Gründung der Landesbibliothek, wie die Nationalbibliothek ursprünglich hiess, fällt in eine Zeit des nationalen Aufbruchs. Damals, Ende des 19. Jahrhunderts ist die Schweiz umgeben von starken Nationalstaaten. Der Kleinstaat Schweiz muss sich behaupten.

Doch der innere Zusammenhalt des kulturell heterogenen Landes ist noch immer wackelig. Auch sind die Wunden des Konflikts zwischen den Liberalen und den Katholisch-Konservativen, der 1847 im Sonderbundskrieg gegipfelt hat, noch längst nicht alle verheilt.

Symbol der Identität

Die Politik versucht ab den 1880er-Jahren die Reihen zu schliessen: Das Schweizer Kreuz wird zum offiziellen Wappen der jungen Nation, der 1. August zu deren offiziellem Feiertag. In Graubünden entsteht der Nationalpark. In Zürich öffnet das Landesmuseum.

Die Landesbibliothek sollte ebenfalls zur nationalen Identität beitragen, sagt der Historiker Marco Jorio, ehemaliger Chefredaktor des Historischen Lexikons der Schweiz: Die Politik habe mit der Landesbibliothek «eine vaterländische Bibliothek» ins Leben gerufen. Sie sollte «das Schaffen der Schweizer Geisteswelt zusammenfassen und öffentlich darstellen».

Zwar gibt es zu jener Zeit bereits Kantonsbibliotheken und Volksbüchereien. «Die Zeitgenossen vermissten jedoch eine zentrale Sammelstelle, welche das gesamte nationale Schriftgut vereinigte», so Jorio.

Wohnzimmer als Lesesaal

So hochtrabend die Ziele der Bibliothek sind, so bescheiden sind deren Anfänge, als sie am 2. April 1895 ihre Arbeit aufnimmt – zunächst in einer Vierzimmerwohnung in der Berner Altstadt.

«Das Hauptproblem war, dass man bei Null anfangen musste», sagt Marco Jorio. Es gibt damals keine Vorgängerbibliothek, deren Bestand man übernehmen könnte.

So ist es an den ersten Angestellten – zwei Bibliothekaren und ihrem einzigen Gehilfen –, Material zusammenzutragen und zu katalogisieren. Publikum ist in den ersten Jahren keines zugelassen. Und als nach einiger Zeit im Wohnzimmer der Wohnung der erste Lesesaal aufgeht, kommt praktisch niemand.

Die Bibliothek der Bibliotheken

Dies ändert sich mehr und mehr. Die Bibliothek erhält neue Räume. 1931 bezieht sie ihren festen Standort an der Berner Hallwylstrasse und mausert sich in den Jahrzehnten danach zur führenden Bibliothek des Landes.

Sie ist aufgrund ihres wachsenden Bestands unverzichtbar für die Forschung zur Schweiz. Zudem übernimmt sie eine herausragende Rolle, weil sie den Gesamtkatalog aller Schweizer Bibliotheken führt.

Verlust an Bedeutung

Ab den 1970er-Jahren erhält sie jedoch zunehmend starke Konkurrenz durch die Universitätsbibliotheken. Diese sind finanziell weit besser ausgestattet, vernetzen sich miteinander und haben die Nase vorn bei der Digitalisierung.

eine schwarz-weiss Fotografie von drei Männern, die sich Bilder anschauen
Legende: 1970 feierte die Landesbibliothek ihr 75. Jubiläum: Bundesrat Hans-Peter Tschudi (ganz links) lässt sich vom damaligen Direktor Franz Georg Maier die Ausstellung erklären. KEYSTONE/Str

«Die Landesbibliothek hat den Technologiesprung verschlafen», sagt der Historiker Marco Jorio. Ein Rückstand, den die altehrwürdige Institution später nicht mehr wettmachen kann.

Und so ist ihre Bedeutung als Sammlerin von Helvetica heute zwar noch immer unbestritten gross. Aber die Zeiten der Nationalbibliothek als Leuchtturm, der alle anderen Bibliotheken überragt, sind vorüber.

Marie-Christine Doffey «Unser Schatz steht allen offen»

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Frau mit Brille steht im beigen Anzug da und grinst
Legende: Keystone / PETER SCHNEIDER

SRF: Seit 2005 stehen Sie an der Spitze der Schweizerischen Nationalbibliothek. Was bedeutet Ihnen die Verantwortung für diese altehrwürdige Institution?

Marie-Christine Doffey: Sie erfüllt mich mit Stolz, weil die Bibliothek eine wichtige Rolle spielt zur Identitätsstiftung in der vielfältigen Schweiz. So sind in den Sammlungen alle vier Sprachregionen vertreten. Ausserdem lebt unsere Institution die Viersprachigkeit der Schweiz durch Mitarbeitende aus allen Landesteilen ganz konkret.

Hat Ihr Amt Ihr Verständnis der Schweiz verändert?

Mein Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen in der Schweiz ist gewachsen: Ich erlebe täglich, dass es kein Klischee ist, wonach Deutschschweizer und Romands beziehungsweise Menschen aus dem Tessin völlig unterschiedlich ticken. Wenn ich beispielsweise mit drei Kollegen aus diesen drei Landesteilen am Tisch sitze, sprechen sie ganz unterschiedlich über ein Thema.

Deutschschweizer gehen eine Sache in der Regel strukturiert Punkt für Punkt durch. Die Lateiner sprechen mehr aus dem Herz heraus und kommen über Umwege zum Ziel.

Die Sammlung umfasst Millionen von Büchern, Drucken, Bildern, Fotografien über die Schweiz. Was ist Ihr Lieblingsstück?

Das ist eine der schwierigsten Fragen, die Sie mir stellen können. Ich bin immer wieder beeindruckt. Kürzlich habe ich zum Beispiel in den alten Jahrgängen der Zeitung «Tribune de Genève» aus den Jahren 1789 bis 1920 geblättert, die wir jetzt auch digitalisiert haben.

Ich war fasziniert von der Art und Weise, wie in früherer Zeit über Themen berichtet wurde - mit einer Ausführlichkeit und Tiefe, die man in den Medien von heute kaum mehr findet.

Die Nationalbibliothek ist in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden. Was wünschen Sie ihr zum Geburtstag?

Dass die Menschen ähnlich stolz sind auf die Bibliothek wie ich. Ich glaube, viele wissen gar nicht, dass es mit der Nationalbibliothek eine Institution gibt, durch deren Bestände sich nachvollziehen lässt, wie wir zu denjenigen geworden sind, die wir sind. Und das Besondere ist: Dieser immense Schatz steht allen offen.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 19.11.2020, 17:58 Uhr

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