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«Draussen vor der Tür» Der Aufschrei einer gepeinigten Generation

Mit seinem Drama «Draussen vor der Tür» schuf der deutsche Autor Wolfgang Borchert ein zeitloses Zeugnis der seelischen und geistigen Leere nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Leid des vor 75 Jahren endenden Zweite Weltkriegs war unermesslich. Es machte schlicht sprachlos. Einer der Ersten, der im völlig zerbombten Deutschland die Sprache wiederfand, war der junge deutsche Schriftsteller Wolfgang Borchert mit seinem Bühnenstück «Draussen vor der Tür».

Er verschaffte damit der Desillusion seiner Generation Ausdruck. Etwa indem er am Anfang Gott persönlich auftreten und die Verlorenheit der jungen Menschen beklagen lässt.

«Sie erschiessen sich. Sie hängen sich auf. Sie ersaufen sich. Sie ermorden sich, heute hundert, morgen hunderttausend. Und ich, ich kann es nicht ändern», jammert der Allerhöchste. Selbst er ist machtlos gegen das kollektive Trauma, welches die junge Generation ereilt hat.

Sendehinweis

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Radio SRF 2 Kultur sendete aus aktuellem Anlass eine historische Hörspielfassung von «Draussen vor der Tür» aus dem Jahr 1969. Die beiden Teile sind online verfügbar.

Das Stück, das als Klassiker der sogenannten «Trümmerliteratur» gilt, liest sich als gellender Schrei einer Jugend, die durch Nationalsozialismus, Propaganda, Terror und Krieg um ihr Leben betrogen worden ist.

Die verratene Generation

Die Handlung des Werks geht damals wie heute an die Nieren: Ein Unteroffizier mit Namen Beckmann kehrt nach dem Krieg von der Ostfront und anschliessender russischer Gefangenschaft nach Deutschland zurück.

Aber er findet keine Heimat. Kriegserinnerungen und Schuldgefühle peinigen ihn, weil auch er Soldaten getötet hat. Hinzu kommt, dass ihn seine Frau im Stich lässt.

Schliesslich zieht er auch noch den Spott jener auf sich, die sich im Nachkriegsdeutschland schnell wieder eine Existenz aufbauen. So, als wäre nichts gewesen.

Entwurzelt und heimatlos

Borcherts Sprache geht tief. Zum Beispiel, wenn es heisst, Beckmann sei «einer von denen, die nach Hause kommen, und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draussen vor der Tür.»

Das Werk ist eine radikale Absage an das Deutschland der Nazis, das in den Seelen von Überlebenden wie jener des Unteroffiziers Beckmann nichts als Leere hinterliess: «Pennen will ich. Tot sein. Mein ganzes Leben lang tot sein. Und pennen. … Zehntausend Nächte pennen.

Wir leben Jahrzehnte später. Aber unser Mitgefühl mit dem seelisch zerstörten Beckmann ist ungebrochen. Er lässt uns an Menschen denken, die in diesem Moment irgendwo auf dem Globus in kriegerische Konflikte verwickelt sind.

1945 – Kriegsende in Europa

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Legende: SRF

Vor 75 Jahren im Jahr 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Und auch die kriegsverschonte Schweiz wurde von diesem historischen Moment beeinflusst. Die frühe Nachkriegszeit ist jedoch eine spannungsvolle Leerstelle im historischen Gedächtnis des Landes.

Mit dem Schwerpunkt «1945» will SRF Fragen beantworten, Diskussionen anregen und das Verständnis für die damaligen Ereignisse fördern.

Alle bisherigen Beiträge zu «1945» und zum Kriegsende allgemein gibt es hier .

Der Autor im Werk

Der 1921 geborene Wolfgang Borchert verarbeitete in «Draussen vor der Tür» auch viel seiner eigenen leidvollen Erfahrung. Er war gerade zwanzig, als ihn die Wehrmacht 1941 als Panzergrenadier einzog.

Der Kasernenhofdrill und danach der Einsatz an der Ostfront im Winterkrieg vor Moskau bereiteten ihm Höllenqualen. Er geriet in den Verdacht, nicht loyal zum Führer zu sein. Gefängnis.

Danach erneuter Fronteinsatz. Borchert erkrankte. Gelbsucht. Unheilbar. Lazarett, danach wieder Gefängnis. Nach Kriegsende schlug er sich in seine Geburtsstadt Hamburg durch.

Obwohl er schwer krank war, begann er Theater zu spielen, und er schrieb Erzählungen und – in nur acht Tagen – sein berühmtestes Werk «Draussen vor der Tür».

Der gute Ruf hält an

Das Werk wurde im Februar 1947 als Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk uraufgeführt. Mit deutlichem Zuspruch zumindest des jüngeren Publikums.

Später im Jahr, als sich der Gesundheitszustand des Autors verschlechterte, sollte ein Kuraufenthalt in der Schweiz Besserung bringen. Davos. Borchert schaffte es nur bis Basel.

Buchhinweis

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Wolfgang Borchert: Draussen vor der Tür. Diverse Ausgaben.

Dort starb er am 20. November 1947 im Claraspital. Einen Tag bevor in Hamburg sein Stück erstmals – und mit grossem Erfolg – auf einer Bühne gezeigt wurde.

Der gute Ruf des Werks hält bis heute an. Was nicht erstaunt, ist es doch mehr als ein blosses Zeitzeugnis: Es macht mit eindringlicher Sprache die Abgründe sichtbar, in welche die Diktatur Menschen führt – bei den Nazis und anderswo.

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