Zum Inhalt springen

20 Jahre nach Bibliotheksbrand Von Faserbrei bis Nanocellulose – so restauriert man Aschebücher

Beim Brand in der Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004 wurden unzählige Bücher verwüstet. Ein Teil wird gerettet und restauriert – mittels innovativer Verfahren.

Am 2. September 2004 bricht im Historischen Gebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar ein Feuer aus. Etwa 50'000 Bücher fallen den Flammen zum Opfer.

Verkohltes Buch mit verbrannten Seiten.
Legende: Ein Aschebuch der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. In der Brandnacht 2004 gingen unzählige Bücher für immer verloren. Keystone/AP Photo/Jens Meyer

In der Brandnacht und den folgenden Tagen bergen Helferinnen und Helfer ausserdem 25'000 Buchblöcke und einzelne Fragmente mit schwersten Brandschäden – die sogenannten Aschebücher.

Ein Teil von ihnen wird seit 2008 in einem weltweit einzigartigen Mengenverfahren restauriert.

Bibliothek, hohe Wände mit Büchern, Bilder und Büsten im Raum. Menschen besichtigen die Bibliothek.
Legende: Als ob nichts gewesen wäre: Die Anna Amalia Bibliothek ist kurz vor ihrer Wiedereröffnung 2007 wieder sauber und schön. Doch der Brand 2004 zerstörte unzählige Bücher. Keystone / AP / JENS MEYER

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek und die Klassik Stiftung Weimar betreiben dafür eine eigene Werkstatt.

Alexandra Hack, die leitende Restauratorin der Bibliothek, hält ein typisches Aschebuch in den Händen. Es ist über 300 Jahre alt und stark in Mitleidenschaft gezogen. «Ganz typisch ist, dass bei diesen Bänden der Einband vollständig verbrannt ist», beschreibt sie die Schäden am Buch. «Meistens auch im Zusammenhang mit der Bindung und der ursprünglichen Heftung, sodass sich der Brand bis auf das Papier hin abzeichnet.»

Auswaschen und stärken

Bei dem Verfahren, mit dem auch dieses Buch restauriert wird, ist jeder Schritt genau durchgeplant. Durch das einheitliche Vorgehen belaufen sich die Kosten pro restaurierter Buchseite auf etwa sieben Euro. Bei früheren Verfahren lagen die Kosten um ein Vielfaches höher, berichtet Alexandra Hack.

Mann vor Maschine, hält Kabel in Hand, deutet auf grosse Plastik-Kassette.
Legende: Ein bisschen wie Zaubern: Buchrestaurator Günter Müller zeigt in der Spezialwerkstatt in Weimar die Arbeitsschritte zur Buchrestauration, 2009. Keystone / AP / JENS MEYER

In einem ersten Arbeitsschritt werden die einzelnen Buchseiten in eine spezielle Kassette gelegt: «Die Kompressionskassette ist eines der wichtigsten Elemente hier im Restaurierungsprozess», sagt Hack.

«Die Papiere werden zwischen diese Fliese gelegt. Sie ermöglichen, dass die Papiere haften können auf einem Untergrund und auch sehr gut wasserdurchlässig sind.» In dem gitterartigen Behälter werden sie in grosser Zahl durchgespült, um Brandreste, Bauschutt und Säure auszuwaschen.

Zwei Hände, die verbrannte Dokumente auf Transparentpapier legen.
Legende: Fingerspitzengefühl ist gefragt: Eine Restauratorin bringt beschädigte Buchseiten auf verstärkendem Papier an. Klassik Stiftung Weimar

Anschliessend kommen die Buchseiten in ein Anfaserungsbad. Faserbrei füllt dabei alle ausgebrannten Stellen auf. Für die nötige Stabilität wird zusätzlich hauchdünnes Japanpapier auf das Blatt aufgebracht. Die getrockneten Seiten sind dann stabil genug, damit man sie wieder zu einem gewöhnlichen Buchblock zusammensetzen kann.

Neue Technik mit Mini-Fasern

Ein weiteres Verfahren weckt nun auch die Hoffnung, Teile der stark beschädigten Musikaliensammlung von Herzogin Anna Amalia zu retten: Seit 2018 arbeitet man in der Werkstatt mit Nanocellulose.

Das sind kleinste Fasern, die auf das brüchige Papier aufgebracht werden und es so stabilisieren. Weil ein Pinsel für diese Arbeit zu grob wäre, wird die Nanocellulose mit einer Airbrush-Pistole aufgesprüht.

Hintergründe zur Herzogin Anna Amalia Bibliothek

Box aufklappen Box zuklappen

Die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek wurde als «Herzogliche Bibliothek» im Jahr 1691 gegründet. Sie ist eines der wichtigsten Archive der Weimarer Klassik und gehört seit 1998 zum Unesco-Welterbe.

In der Brandnacht befanden sich im Stammhaus 120'000 Bücher. Zehntausende von ihnen konnten Helferinnen und Helfer aus dem brennenden Gebäude holen, viele andere verbrannten – etwa ein Grossteil der kulturgeschichtlich wertvollen Musikaliensammlung der Herzogin Anna Amalia. Sie umfasste rund 2.000 Bücher zur Musikgeschichte und Noten.

Ein unschätzbarer Verlust ist auch die Büchersammlung des ersten Direktors der früheren herzoglichen Bibliothek, Konrad Samuel Schurzfleisch. Sie wurde 1722 an die Bibliothek übergeben.

Mit der Nanocellulose lassen sich auch Bücher behandeln, die eine Flutkatastrophe beschädigt hat. Denn auch Wasser wirke auf das Papier ein und könne zu Schäden führen, erklärt Laura Völkel, je nachdem, wie die Trocknungssituation des Papiers sei: «Und die ist ja oft bei grossen Wassereinbrüchen nicht ideal, weil man einfach eine riesige Menge hat. Dann natürlich auch der Schimmelschaden, der sich dann anschliesst. Und für diesen ist im Grunde die Zellulose auch ein sehr interessantes und reizvolles Material.»

Das neue Verfahren hat sich bewährt. In vier Jahren wollen die Buchrestauratorinnen und -restauratoren die letzten Aschebücher bearbeitet haben. Andere Einrichtungen, die ein ähnliches Unglück erlebt haben, sind von einem solchen Schlussstrich weit entfernt.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 02.09.2024, 07:06 Uhr

Meistgelesene Artikel