Obwohl er als Wissenschaftler selber immer wieder mal unter Produktionsdruck stehe, würde Roland Kipke die Schnellschreib- und Superdenk-Pille nicht schlucken. So es sie denn tatsächlich gäbe.
Roland Kipke, Philosoph und Ethiker an der katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt, hält nichts von der ready-made Selbstverbesserung: «Es ist nicht moralisch falsch, aber es ist einfach unklug, wenn gesunde Menschen so etwas tun.» Diese Medikamente zu schlucken, sei mit Risiken verbunden und die beabsichtigte Wirkung aufs gesunde Gehirn keineswegs erwiesen.
Antidepressiva, Stimulantien und Betablocker
«Neuro-Enhancement» nennt sich das, wenn Gesunde ihr Gehirn mit Chemie optimieren wollen. Fürs Hirndoping werden verschiede Medikamentengruppen genutzt: Antidepressiva der neueren Generation sollen Schüchterne und Ängstliche mutig, selbstsicher und ausgeglichen machen, Stimulantien wie Ritalin dem Gehirn Höchstleistungen abtrotzen und die Konzentration fördern.
Daneben greifen an sich gesunde, klinisch unauffällige Menschen auch zu Betablockern. Für den Einsatz bei Bluthochdruck und Herzkrankheiten entwickelt, haben Betablocker den Ruf, gegen Ängstlichkeit zu wirken, für Stimmungsausgleich und Leistungsfähigkeit zu sorgen. Doch eben: Bislang spricht nichts dafür, dass die Substanzen halten, was sich gesunde Konsumenten von ihnen versprechen.
Krankhafte Schlafattacken
Das einzige Medikament, das offenbar tatsächlich eine leistungssteigernde Wirkung haben kann, ist das amphetaminähnliche Modafinil. Modafinil, das gegen die krankhaften Schlafattacken bei Narkolepsie verschrieben wird, steigert die strategische Denkleistung. Das konnten zwei britische Forscher im vergangenen Jahr in einer Überblicksstudie zeigen. Doch auch die Wirkung von Modafinil trete nur bei Menschen ein, die vorher eh schon müde waren, sagt Roland Kipke.
Beiträge zum Thema
Kipke beschäftigt sich seit längerem mit der Frage, worin sich aus ethischer Sicht medikamentöse Selbstveränderung von mentalen Selbstformungsstrategien unterscheiden.
Unbehagen bereitet dem Ethiker das Phänomen des «Neuro-Enhancement» vor allem wegen der Machbarkeits-Idee, die dahinter steckt: «Neuro-Enhancement ist eine auf Kurzfristigkeit angelegte und mechanistische Art des Umgangs mit sich selbst. Eine vertiefte Selbstwahrnehmung, aber auch die Erfahrung selber etwas bewirken zu können, ist bei Neuro-Enhancement nicht nötig.» Wer eine chemisch angetriebene Selbstveränderung anstrebt, bewegt sich also sozusagen an der Oberfläche seines Selbst.
Selbstformung braucht Zeit
Kipke stellt den Ideen einer chemisch getriebenen Instant-Selbstveränderung die teilweise Jahrtausende alten Techniken der mentalen Selbstformung gegenüber. Konzentrationsübungen, Meditation, Selbstsorge, Selbstvervollkommnung, Selbstbildung und andere traditionelle Methoden der Selbstformung bräuchten mehr Ausdauer. Im Gegenzug seien sie nachhaltiger, weil sie stetige Selbstkonfrontation verlangten und zwangsläufig zu Selbsterkenntnis. «Es ist ein Klugheitsargument, nicht ein moralisches, das dafür spricht, sich Zeit zu nehmen für die Selbstformung.»
Erwartungen nicht erfüllt
Wieviele Menschen setzen eigentlich auf die vermeintliche Kraft der Pille? Eine Umfrage einer grossen deutschen Krankenkasse zeigte im vergangenen Jahr: Immer mehr Menschen konsumieren Medikamente, um ihre Arbeitsleistung zu steigern – etwa vor anstehenden Präsentationen oder wichtigen Verhandlungen.
Das Wissenschaftsmagazin «Nature» hat 2008 ihre Leser zum Thema Neuro-Enhancement befragt. Die Studie zeigt: 70 Prozent der Antwortenden würden selbst zu solchen Mitteln greifen. 20 Prozent haben es schon einmal getan und «Neuro-Enhancer» eingenommen, die meisten von ihnen Methylphenidat (Wirkstoff von Ritalin).
Dennoch scheint der Trend abzuflachen, sagt Ethiker und «Neuroenhancement»-Experte Roland Kipke. Nicht weil der Druck zu Leistungssteigerung abgenommen habe. Sondern wohl in erster Linie deshalb, weil die Medikamente die hohen Erwartungen ihrer Konsumenten nicht erfüllen konnten.